Wir Arbeiter im Weinberg

Mt 20, 1–16

Ist das nicht zutiefst ungerecht? Gilt nicht das Prinzip: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit? Also: Wer mehr leistet, muss dann auch angemessen mehr dafür bekommen.

Mir sträubten sich lange Zeit die Nackenhaare, wenn ich las, einer, der 12 Stunden gearbeitet hat, soll genauso viel Lohn bekommen wie einer, der nur eine Stunde gearbeitet hat.
Das ist doch ganz offensichtlich ungerecht, oder?

Dieses Gleichnis stellt alle unsere Errungenschaften der modernen bürgerlichen Welt gleichsam auf den Kopf. Nun könnte man einwenden: Na ja, es ist ja auch eine Szene aus der Antike, und in dieser Zeit konnte man froh sein, überhaupt einen Lohn als Landarbeiter zu bekommen. Das mag stimmen. Aber auch damals hatten die Menschen selbstverständlich ein Gespür für Gerechtigkeit, vielleicht nicht so wie in unserem modernen Sozialstaat. Aber dass einer, der mehr leistet, auch mehr Lohn bekommen muss, das wussten auch die Menschen in der Antike.

Sonst käme dieses Gleichnis im Evangelium ja gar nicht vor. Natürlich war es auch damals anstößig, und sollte es sein. Natürlich sollten auch damals die Menschen darüber ins Grübeln kommen.

Wieso soll es mit dem Himmelreich genau so sein wie mit diesem Gutsbesitzer, der allen denselben Lohn gibt?

Ich habe dafür nur eine einzige Erklärung: Jesus geht es nicht darum, unsere irdischen Verhältnisse auf Gott und sein Reich anzuwenden. Umgekehrt! Er will uns damit zeigen: Gott ist eben ganz anders als wir. Dieses Gleichnis steht hier nur aus einem einzigen Grund: Damit wir wissen, was Gott tut; damit wir wissen, wie Gott ist. Er ist jedenfalls nicht so, wie wir unsere Welt organisieren. Das heißt nicht, dass unsere soziale Gerechtigkeit falsch wäre. Nein, das ist sie bestimmt nicht! Im Gegenteil! Sie ist sogar dringend notwendig, und es gibt leider oft viel zu wenig davon.

Aber wir dürfen nicht den Fehler machen, das Evangelium allein an unserer Welt zu messen, so als ob es irgendwie nicht richtig sein kann, wenn es nicht voll und ganz unserem Denken entspricht.

Gott ist anders; immer anders, als wir es uns vorstellen.

Wir haben es an diesem Sonntag in der ersten Lesung im Buch Jesaja gehört: Da sagt Gott: „Meine Wege sind nicht eure Wege.“ Denn Gott „ist barmherzig und reich an Erbarmen.“

Mit diesem Gleichnis zeichnet Jesus Gott genauso, wie er ist: Reich an Erbarmen! Nicht mehr und nicht weniger. Und da spielt es keine Rolle, ob einer viel arbeitet, ob einer stark ist, ob einer schlau ist oder mächtig.

Gott liebt jede und jeden einzelnen von uns, Sie und mich, völlig gleich. In Gottes Welt wird der Wert eines Menschen nicht durch Vergleich bemessen, auch nicht durch Leistung oder Verdienst. Deshalb mag ich dieses Gleichnis. Weil es uns so deutlich macht, dass sich Liebe oder auch Glaube nicht quantitativ beziffern lassen; dass man Liebe oder Glaube nicht aufrechnen oder gegenrechnen kann. In Gottes Welt gibt es kein Kalkül.

Deshalb ist natürlich umso fragwürdiger, warum sich gerade im Christentum so lange dieser Gedanke des Aufrechnens halten konnte. Als ob Gott ein Tauschpartner wäre und wir uns Heil und Liebe verdienen könnten. Das kann doch nicht der Inhalt des Christentums ein. Sobald Kalkül im Spiel ist, gerät man doch automatisch in Widerspruch zur Liebe und zu Gottes Welt.

Der Gutsbesitzer im Gleichnis gibt allen den vollen Lohn, egal wie lange sie gearbeitet haben, geschenkt, aus Liebe. Deshalb ist Gottes Welt eben so ganz anders als unsere Welt Das habe ich durch dieses Gleichnis gelernt.

Aber natürlich sagt uns Jesus mit diesem Gleichnis dann doch auch etwas über unsere Welt: Nämlich, dass die Schwächsten nicht unter die Räder kommen dürfen. Und wir schon gar diejenigen, die nichts haben, egal ob sie neu hier zu uns kommen und oder schon da sind, einfach zu Sozialschmarotzern erklären dürfen. Nein! So wie Gott dürfen auch wir die Ärmsten nicht vergessen.

Bleibt das Risiko, dass der Gutsbesitzer ausgenutzt wird. Ja, dieses Risiko geht die Liebe ganz bewusst ein, ja muss sie eingehen. Denn sonst wäre eben Liebe doch wieder Kalkül, Berechnung, Strategie.

Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg ist das Versprechen Gottes, dass seine Liebe voll und unbeschränkt gilt, für alle, unbedingt.

Wenn wir uns darauf einlassen, wenn wir Jesus hier nachfolgen wollen, und wenigstens versuchen wollen, andere so zu lieben wie Gott uns liebt, für andere da zu sein und uns auch selbst von dieser Liebe beschenken lassen, dann ist das Himmelreich, dann ist Gottes Welt, ganz nahe.

 

(Predigt zum 25. Sonntag im Jahreskreis A, 20. September 2020, in Maria Gnaden, Berlin-Hermsdorf)

 

Bild: Public Domain https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/3a/Arbeiter_im_weinberg.jpg

Entscheidende Anregungen verdanke ich der „Sketch-Bibel“:

https://youtu.be/Kf-njjcxzZc

Schreibe einen Kommentar