Barmherzig wie der Vater

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Evangelium

Am letzten Sonntag (s.u.). ging es im Evangelium am Beispiel des Feigenbaums um die Früchte, die wir bringen sollen, und es ging um Umkehr. Das heutige Evangelium schließt hier unmittelbar an. Denn auch heute geht es um Umkehr:

Der Sohn, der sein Erbe durchgebracht hat, kehrt reumütig zurück, oder eigentlich nicht reumütig, sondern eher kalkulierend, denn er bekennt zwar seine Schuld und weiß, nicht mehr die Privilegien des Sohnes zu haben. Aber er will sich wenigstens wie ein Bediensteter ein Überleben sichern. Deshalb kehrt er um. Aber hier geht es um mehr als Schuld und Sühne.

Kaum eines der Gleichnisse Jesu ist so bekannt wie dieses: Der verlorene Sohn oder der barmherzige Vater; je nachdem. Nahezu jede/r kennt es. „Das Evangelium im Evangelium“ wird es genannt, also quasi der Kern des Evangeliums, der Kern der frohen Botschaft Jesu. Nirgendwo hat Jesus lebendiger und anschaulicher den Vater im Himmel geschildert, und nirgendwo wird deutlicher: Dieser Vater im Himmel ist genauso, wie Jesus ist; und wie Jesus will, dass wir sind. Das ist dich der Kern seiner Botschaft.

Aber genau da wird’s schwierig. Denn wir merken doch: das, was hier steht, ist eigentlich eine ziemliche Überforderung – für die allermeisten. Ich wage zu sagen: Die wenigsten von uns sind so wie dieser Vater; vielleicht  ganz wenige: keine Vorwürfe, kein Rechtbehalten, keine Zurückweisung. Die allermeisten werden sich doch ganz intuitiv mit dem älteren Bruder identifizieren. Der zeigt doch eine ganz normale, menschliche Reaktion, oder? Wie kann man solch einem Nichtsnutz von Sohn auch noch entgegenlaufen und ihn reich beschenken und alles vergeben und vergessen? Wie geht so was? Und die Anständigen, die immer ihre Pflicht tun? So wie der Bruder? Dem wird gesagt: „Mein Sohn, bei dir bin ich doch immer. Du hast mich doch immer, und alles, was mein ist, ist auch dein. Ob das den anständigen Bruder befriedigt?

Aber in der ersten Zeile des heutigen Evangeliums wird gesagt: „In jener Zeit kamen alle Zöllner und Sünder zu Jesus“; und die Anständigen, die Pharisäer und die Schriftgelehrten, empörten sich darüber. Denn Jesus ist genau für die da, für die sonst niemand da ist,
 für die Sünderinnen und Sünder. Gerade ihnen zeigt er die Barmherzigkeit des Vaters. Und diese Barmherzigkeit sprengt jedes menschliche Maß. Dieses Evangelium bringt die Botschaft Jesu vollends auf den Punkt. Das geht über gewöhnliche Nettigkeit oder einen bloßen Humanismus bei weitem hinaus. Was der Vater hier tut, sprengt jedes menschliche Maß. Er weiß ja um die Verfehlung seines Sohnes, und er weiß ja, dass der vielleicht immer noch nicht wirklich bereut, die „vollkommene Reue“ zeigt, wie es die Kirche nennt. Aber ist das jemals der Fall? Jesus zeigt uns hier sein revolutionäres Gottesbild.  Das ist der Kern des Evangeliums: Nicht allein Gerechtigkeit, nicht allein die Wiederherstellung des Bundes, der Einheit, ist sein Ziel – nicht nur Versöhnung, sondern radikale Barmherzigkeit. Auch wenn es keine Wiedergutmachung gibt, ja vielleicht oft gar nicht geben kann. Und dennoch kommt er dem Sohn entgegen, umarmt ihn, küsst ihn, hat Mitleid, vergibt. Und wie oft ist diese Vergebung nötig, wie oft haben wir Vergebung nötig? Im Großen wie im ganz Kleinen. Denn das ist Barmherzigkeit: Vergebung, immer wieder Vergebung.

Wenn wir ehrlich zu uns sind, gehört das doch zum Schwierigsten, was es gibt: zu vergeben. Wie schwer fällt uns das? Und wie schwer fällt es, Vergebung anzunehmen? Denn wir müssen sie auch annehmen. Wir können sie uns nicht selbst geben. Niemand kann das. Man kann sich nicht selbst vergeben. Das Wort, das Dir hilft, kannst Du Dir nicht selbst sagen. Allein Vergebung schafft Heilung, Tröstung, Liebe. Auch wenn der Sohn vielleicht taub ist für die Stimme der Liebe. Dennoch Barmherzigkeit und Vergebung. So ist der Vater hier im Evangelium. Das ist der Kern. Und so zeigt uns Jesus den Gott, zu dem auch wir Vater sagen können, und der genauso ist.

Ich weiß, dass das Bild des Vaters hier nicht für jede und jeden leicht ist. Denn wie viele Menschen gibt es, die mit dem Wort „Vater“ eben nicht Barmherzigkeit und Liebe verbinden; die selbst ganz andere Erfahrungen mit dem gemacht haben, den sie Vater nennen? Ich zum Beispiel. Und dennoch zeigt uns das Bild des Vaters hier genau das, was Jesus sagt und sagen will. Jesus sagt: So wie der Vater hier im Gleichnis, so bin ich, und so sollst auch du sein. Und gleichzeitig: Du bist auch der ältere Bruder, der ganz menschlich reagiert; der in Gut und Böse denkt; der Gerechtigkeit will. Und letztlich sind wir doch immer auch so wie der verlorene Sohn, der immer wieder auf Barmherzigkeit und Vergebung angewiesen ist. Immer wieder. Hier wird uns unsere Geschichte erzählt.

(Predigt zum 4. Fastensonntag (Laetare) am 27.3.2022 in Maria Gnaden, Berlin-Hermsdorf, und St. Nikolaus, Berlin-Wittenau)

Bild: Rembrandt van Rijn, Die Rückkehr des verlorenen Sohnes, ca. 1668. St. Petersburg: Eremitage, Foto: privat.

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