Was heißt Jesus lieben?

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Evangelium 


Letzten Sonntag haben wir hier in unserer Kirche wieder Erstkommunion gefeiert, und es ist immer besonders schön zu sehen, wie die Kinder zum ersten Mal Christus in der Gabe der Eucharistie empfangen. Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele Kinder wirklich ergriffen sind von dieser Gabe, von Christus in der Hostie. Das ist etwas ganz Besonderes.

Bevor sich uns der Herr aber in der Eucharistie gibt, gibt er sich uns bereits in seinem Wort. Das geht voran: Noch bevor wir die Gabe der Eucharistie empfangen, hören wir ihn in seinem Wort. Deshalb ist es in der Liturgie auch so richtig, dass der Diakon zuerst das Evangelium vorträgt, bevor der Priester dann die Eucharistie zelebriert. Das drückt liturgisch aus: Bevor wir die Gabe im Brot empfangen, empfangen wir ihn in seinem Wort. Zuerst die Worte Jesu, dann die Gabe der Eucharistie.

In diesem Wort Jesu hören wir heute: „Wenn ihr mich liebt, haltet ihr meine Worte.“ (s.o.) Was heißt: Jesus lieben? Was bedeutet das, Jesus zu lieben?

Das mit dem Lieben ist ja so eine Sache. Wir können einen Menschen lieben, manche von uns lieben Fußball, andere lieben Autos oder ein Eis oder Ferien am Meer. Immer meint „lieben“ hier etwas ganz Unterschiedliches. Wohl niemand käme auf die Idee zu behaupten, die Liebe zum Fußball sei auch nur annähernd gleichzusetzen mit der Liebe zu einem Menschen. „Lieben“ kann Vieles bedeuten. Was heißt es dann, Jesus zu lieben? Es wird ja nicht so sein, wie man einen Menschen liebt, der hier und jetzt da ist, den man anfassen kann, mit dem man sprechen kann und vor allem von dem man Antwort erhält und der im besten Fall einen ebenso liebt. Was heißt also Jesus lieben?

Diese „Liebe“ zu Jesus hat durch die Geschichte ganz unterschiedliche Formen angenommen, bis hin zu ganz kitschigen spätestens seit dem 19. Jahrhundert. Da sollte man Jesus eins zu eins gleichsetzen mit dem geliebten Menschen in ganz romantischer und erotischer Verklärung. So etwas würde heute eher für psycho-pathologisch gehalten; damals war das in unserer Kirche ganz selbstverständlich.

Was heißt Jesus lieben? Im heutigen Evangelium steht es ganz klar: „Wenn jemand mich liebt, wird er [oder sie] mein Wort halten.“ Es geht hier nicht um Liebe wie zwischen zwei Menschen; es geht auch nicht um Liebe im Sinne von bloßer Begeisterung wie beim Fußball. Es geht darum, Jesu Wort zu halten. Es geht darum, Jesus auf seinem Weg zu folgen, ihm nachzufolgen. Nichts anderes heißt doch: mein Wort halten. Ich halte sein Wort, wenn ich diesem Wort folge; es ernst nehme; ja mein Leben darauf baue. Dann liebe ich ihn. So sagt er es selbst. Liebe heißt hier also nichts anderes als Nachfolge!

Während bei uns am vergangenen Sonntag Erstkommunion war, fand in Rom eine Papstmesse statt, in der – neben neun weiteren Personen – einer heiliggesprochen wurde, der wie wenige andere diese Nachfolge ernstgenommen hat: der französische Ordensmann Charles de Foucauld.

Er lebte Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts; stammte aus einer reichen Straßburger Familie; war Soldat; brachte dann das ganze Geld seiner Familie durch; war zunächst überzeugter Atheist und hat – wie er selbst sagte – erst sehr spät den Weg Jesu gefunden; und zwar angeregt durch den Glauben der Muslime. Er ging dann nach Nordafrika; wurde Einsiedler in Algerien, hat sich für notleidende Tuareg aufgeopfert und ist dort 1916 bei einem Überfall getötet worden. Charles de Foucauld, oder wie er sich selbst nannte: Kleiner Bruder Karl. Auf ihn gehen die Kleinen Schwestern und die Kleinen Brüder Jesu zurück.

Er hat genau das gemacht, was hier im Evangelium steht: Er hat Jesu Worte gehalten. Er wollte Jesus nachfolgen, ihn lieben. Zunächst hat er allerdings Nachfolge mit Nachahmung verwechselt. Er dachte, er müsse genau so leben, wie Jesus vor 2000 Jahren lebte. Deshalb ging er auch zuerst nach Nazareth. Dort erkannte er aber: Wir können heute niemals genauso leben wie Jesus; wir können ihn nicht nachahmen; und das brauchen wir auch nicht: Nachfolge heißt nicht Nachahmung, Imitation.

Nachfolge heißt: Den eigenen Weg zu finden, um Jesu Weg mitzugehen. Am Sonntag bei der Heiligsprechung sagte Papst Franziskus: Es geht nicht darum, sich besonders anzustrengen, also irgendeine Hochleistungsfrömmigkeit zu betreiben, sondern es geht um die Alltäglichkeit; um den Staub der Straße; denn „Heiligkeit besteht nicht aus ein paar heroischen Gesten, sondern aus viel harter täglicher Liebe.“ Denn immer gilt: Liebe ist nicht allein, was Du fühlst. Liebe ist, was Du tust. Aber wir alle wissen: Liebe kann niemals befohlen werden; Liebe kann man nicht anordnen: „So, nun liebe gefälligst!“

Darum geht es Jesus nicht; darum ging es auch Charles de Foucauld nicht. Wir müssen schon unsere eigenen Wege zur Liebe finden; und die können sehr unterschiedlich ausfallen. Es gibt nicht den einen Weg der Nachfolge, der Liebe.

Aber Jesus sagt: Wir haben einen Bestand, seinen Geist, den er uns schenkt, den wir den Heiligen Geist nennen. Darauf können wir bauen: unser Leben wie unseren Tod. Denn er bleibt bei uns, auch dann, wenn wir – wie nächsten Donnerstag an Christi Himmelfahrt – feiern, dass Jesus eben gerade nicht mehr so bei uns ist, wie er noch den Jüngern erschien. Er bleibt doch bei uns: in seinem Wort und seiner Gabe, der Eucharistie. Und er lädt uns ein, ihm nachzufolgen. Nicht ihn nachzuahmen! Nachzufolgen, indem wir seine Worte halten, seinen Weg mitgehen, und ihn so zu lieben.

(Predigt am 6. Sonntag der Osterzeit, 20. Mai 2022 in Maria Gnaden, Berlin-Hermsdorf) und St. Nikolaus, Berlin-Wittenau)

Bild: Charles de Foucauld und Christus, vgl. https://www.charlesdefoucauld.de/index.php/spiritualitaet/spirituelle-impulse/82-charles-de-foucauld-und-christus

 

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