Herr, lehre uns beten!

Wir Menschen wollen alles ganz genau wissen. Das liegt in unserer Natur. Warum ist etwas so und nicht anders? Können wir uns auf das, was wir erfahren oder was wir meinen, auch wirklich verlassen? Aus heutiger Perspektive ist die ganze Menschheitsgeschichte eine einzige Linie nach oben: Immer mehr wissen wir und immer mehr können wir.

Seit der Antike wird der Mensch deshalb auch verstanden als ein Tier, das weiß und weiß, dass es weiß.

Doch die Jünger bitten Jesus nicht etwa darum, er solle sie lehren, damit sie immer mehr wissen; immer klüger werden; immer mehr können. Nein, sie sagen: „Herr, lehre uns beten!“ Beten! Die Jünger vertrauen auf das Gebet. Es ist für sie notwendig.

Sie wollen, dass Jesus sie genau das lehrt, was er selbst tut. Denn Jesus betet. Jesus vertraut auf das Gebet. Jesus betet in der Einsamkeit, in der Stille, an einem x-beliebigen Ort wie hier im Evangelium, er betet im Abendmahlsaal, in Gethsemane, und er betet am Kreuz.

Und er lehrt seine Jünger und damit auch uns dieses eine Gebet: Das Vaterunser.

Martin Luther hat einmal gesagt: „Man kann einen Christen ohne Gebet ebenso wenig finden wie einen lebendigen Menschen ohne Puls“.

Für ihn gehörte Beten noch selbstverständlich zum Christsein. Heute aber erscheint das Beten vielen als rausgeschmissene Zeit, als überflüssig, zu nichts nutze.

Wie oft denken wir aufgeklärten modernen Menschen, Gebete seien etwas Vorgestriges, etwas für Kinder oder naive Seelen? Jedenfalls nichts für Menschen des 21. Jahrhunderts. Wer so denkt, hat vielleicht noch nicht wirklich Erfahrung gemacht mit dem Beten. Denn das Gebet öffnet uns für Gottes verwandelnde Gnade. In ihm treten wir in Gottes Gegenwart ein und erlauben seinem Geist, in uns zu wirken.

Ich muss nur Ja sagen, dass Gott in mir handeln kann. Jede gemachte Erfahrung – ganz egal was – können wir vor Gott tragen.

Und doch spüren wir so oft, dass unser Gebet „Worte ins Schweigen“ sind, in die Unbegreiflichkeit Gottes, und wir denken, dass wir nicht gehört werden, dass unser Gebet nicht erhört wird.

Aber Jesus sagt uns heute: Ja, Ihr sollt beten, Ihr dürft beten, Ihr könnt beten, und zwar genauso wie man einen guten Freund um etwas bittet. Sogar aufdringlich sollt Ihr sein und dürft Ihr sein. Wie bei einem echten Freund. Jesus sagt uns gar nicht, was genau wir beten sollen. Er sagt uns aber, wie wir beten sollen. Denn er zählt im Vaterunser zwar ganz konkrete Bitten auf, hier im Lukasevangelium die um das tägliche Brot, die Vergebung unserer Schuld, und die Bewahrung vor der Versuchung. Aber vor allem sagt er: Wir sollen uns an Gott so vertrauensvoll wenden wie ein Kind an seinen Vater, und wir dürfen ergänzen: wie an seine Mutter.

Liebende Eltern werden dem Kind nicht jeden Wunsch unmittelbar erfüllen. Aber sie werden für das Kind da sein, ganz da sein, und für das Kind sorgen, es lieben und umsorgen, und genau das tun, was letztlich gut ist für das Kind. Wir dürfen Gott bitten in kindlichem Vertrauen. Das sagt Jesus hier. Wir dürfen Gott belästigen wie einen Freund und wie Vater und Mutter. Wir dürfen Gott ganz aufdringlich um alles angehen, was wir auf dem Herzen haben, und wir dürfen sicher sein: Gott hört uns. Gott ist bei uns. Es wird uns geöffnet, wenn wir anklopfen. Wir werden empfangen, wenn wir Gott bitten, und wir werden finden, wenn wir bei Gott suchen.

„Was?“, steht da nicht. Unmittelbare Wunscherfüllung steht da nicht. Erfüllung all dessen, was wir wollen, steht da nicht. Leider! Das macht es so schwierig und spannungsvoll. Wie oft sind wir enttäuscht und fühlen unsere Bitten ins Leere laufen? In Gottes unendliches Schweigen. Ja, das müssen wir wohl aushalten bis zum Ende. Aber wir können gewiss sein: Er schenkt uns seinen Geist, wenn wir ihn darum bitten.

Denn Beten bedeutet ja nichts anderes, als unser Herz zu öffnen, um die Liebe Gottes in Jesus Christus zu erfahren.

Und regelmäßiges Beten, ganz gleich wie, hilft uns, einen geistlichen Rhythmus zu entwickeln. Und dann verändert das Gebet die Art und Weise, wie wir über unser Leben denken. Es schafft neue Gewohnheiten unseres Herzens wie unseres Verstands.

Wir Menschen sind nicht nur diejenigen Wesen, die wissen, wir sind auch diejenigen, die beten können. Das sollten wir nicht vergessen. Das macht unsere besondere Natur aus.

(Predigt am 17. Sonntag im Jahreskreis C, 24.7.2022, in St. Martin, Berlin-Wittenau)

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