Gottes Name ist Barmherzigkeit

Evangelium

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Heute ist der 11. September. Nahezu jede und jeder von uns weiß, wo sie oder er heute vor 21 Jahren war, als Terroristen in Amerika mit Flugzeugen in Gebäude flogen und 3000 Menschen starben.

Ich möchte Ihnen dazu eine kleine Geschichte erzählen: Von dem amerikanischen Franziskaner-Pater Mychal Judge. Der stammte aus einer armen Familie in New York; der Vater war früh gestorben, und so musste er zunächst neben der Schule als Schuhputzer Geld für die Familie hinzuverdienen. Er schloss sich den Franziskanern an, wurde Priester, aber er geriet in eine tiefe Glaubenskrise, weil er homosexuell war und deshalb zur damaligen Zeit massiven Angriffen ausgesetzt war und auch in massive Glaubenszweifel und Zweifel an sich selbst, an Gott und der Welt geriet. Er entfernte sich von seinem Orden und hatte ziemliche Probleme mit Alkohol. Das war in den 1980er Jahren. Doch dann arbeitete er in einer Hilfsorganisation für AIDS-Kranke, und, wie er selbst sagte, durch die Hingabe und Liebe, die er dort gesehen hat, fand er zurück zum Glauben an den liebenden und barmherzigen Gott. Er wurde dann Leiter des Franziskanerklosters in der 31. Straße in New York und schließlich Kaplan der New Yorker Feuerwehr.

Als die Attentate am 11. September passierten, war er bei den ersten Feuerwehrleuten, die zum World-Trade-Center kamen, um den eingeschlossenen Menschen zu helfen. Unmittelbar, als er ankam, wurde er von einem herabstürzenden Trümmerteil erschlagen. Er ist der erste dokumentierte Tote der Anschläge vom 11. September 2001.

Warum erzähle ich diese Geschichte? Weil P. Mychal Judge erfahren hat, was Umkehr und Barmherzigkeit bedeutet. Ganz konkret; an sich selbst. Dass es Menschen waren, die ihn annahmen, auch als schwuler Alkoholiker annahmen, auch als Zweifelnder, am Glauben verzweifelnder, liebevoll annahmen. Und weil es ihm nur wegen dieser Menschen gelang, umzukehren und wieder an Gottes liebende Barmherzigkeit zu glauben; ihr zu vertrauen. Denn Glauben heißt ja nichts anderes als der Liebe vertrauen. Darum geht es heute im Evangelium.:

Jesus wird kritisiert, weil er mit Zöllner und Sündern isst. Und deshalb erzählt er diese Gleichnisse. Nur um deutlich zu machen: Gottes Name ist Barmherzigkeit, Vergebung. Freude über den, der umkehrt. Das ist Gottes Logik. Die ist anders als unsere menschliche Logik. Der Bruder des reuigen Sohnes: Der denkt so, wie wir Menschen ganz selbstverständlich denken. Und wer könnte ihn nicht verstehen? Aber der Vater denkt anders. Der denkt in göttlicher Logik. Oder derjenige, der zurückgeht und das eine verlorene Schaft sucht, oder die Frau, die alles stehen und liegen lässt und die eine Drachme sucht.

So ist Gottes Logik. Gott gibt niemanden auf. Er läuft uns nach, jeder und jedem von uns. „So manches verlorene Schaf wartet darauf, gefunden zu werden. Aber wer wird es suchen, wenn er dabei vielleicht eine Menge verliert? Das wäre ein schlechter Geschäftsmann, der neunundneunzig Prozent riskiert, nur um eines zu retten. Nein, dann doch besser seinen Profit sichern und lieber die neunundneunzig Schäfchen ins Trockene bringen. Das ist menschliche Logik. Göttliche Logik sieht anders aus: Gott gibt keinen verloren. Was für ein Glück für uns, für dich und mich und all die anderen verlorenen Schafe!“ (Gisela Baltes: Dein Wort – mein Leben: Impulstexte zur Bibel. Kevelaer, 2011, S. 68)

(Predigt am 24. Sonntag im Jahreskreis C, 11. September 2022, in Maria Gnaden, Berlin-Hermsdorf)

Bild: Rembrandt: Die Rückkehr des verlorenen Sohnes, 1663-69, St. Petersburg: Eremitage, Foto: privat.

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