Von der eigenen Rechtschaffenheit überzeugt?

Evangelium

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Fühlen Sie sich eigentlich wohl in der Kirche? Ich meine jetzt nicht in einem mehr oder minder geheizten Kirchenraum, vor allem angesichts der sinkenden Temperaturen. Ich meine es ganz grundsätzlich: Fühlen sich wohl, in der Kirche zu sein, fühlen Sie sich wohl, Christ/Christin zu sein?

Wenn wir die aktuellen Nachrichten aus unserer Kirche hören, fällt das vielen sicher schwer. Wie viele werden bei sich denken: Warum mache ich das eigentlich? Warum bin noch in dieser Kirche? Angesichts der unzähligen Skandale, angesichts des Missbrauchs, angesichts der mangelnden Wertschätzung, die so viele erfahren haben, gerade die Frauen. Kann ich mich da wohl fühlen?

Da, wo ich herkomme, ging man in die Kirche, weil das alle so machten. In unserem Dorf waren 98 % der Einwohner/innen katholisch. Es gab zwar keinen sozialen Druck, aber es gehörte sich einfach. Es war selbstverständlich. Und dann gab es ja das Gebot der Kirche, mindestens am Sonntag die Messe zu besuchen. All das ist heute weggefallen; gerade hier in Berlin. Und die Austrittszahlen sprechen ja für sich. Noch nie waren sie so hoch wie im letzten Jahr, und es werden noch mehr werden. Warum also bin ich noch in der Kirche?

Der Pharisäer, von dem heute im Evangelium die Rede ist, der fühlte sich bestimmt wohl. Der hat ja auch alles richtig gemacht. Der wusste ganz genau, warum er im Tempel ist: Eben, weil er alles richtig machte; weil er so perfekt war. So dachte er zumindest. Und deshalb betete er auch: „Gott sei Dank, bin ich nicht so wie die anderen, die schlechter sind als ich.

So geht es uns ja auch oft. Wenn wir ehrlich zu uns sind, sagen wir doch oft: „Ich bin natürlich ein Sünder, aber alle anderen sind natürlich noch viel schlechter als ich.“

Pharisäer waren in der damaligen Zeit ja keine schlechten Leute. Im Gegenteil. Sie waren damals sozusagen die bürgerliche Mittelschicht. Man könnte sagen: Die waren so etwas wie die Katholiken unter den Juden; immer darauf bedacht, alles richtig zu machen. Immer absolut korrekt. Und immer davon überzeugt, dass sie 100%ig die Wahrheit besitzen. Von der eigenen Gerechtigkeit überzeugt; selbstbewusst!

Und die Zöllner? Natürlich waren das Betrüger und Halsabschneider. Die waren ja keine anständigen Finanzbeamten. Deren Profit bestand darin, für die Römer die Steuern einzutreiben und dabei noch ordentlich was draufzuschlagen. Das konnten sie dann behalten.  Sie waren im gesellschaftlichen Ranking wirklich ganz unten. Wie die Prostituierten, Räuber und Betrüger, die hier im Evangelium genannt sind.

Und nun kommt Jesus und sagt genau zu den Rechtschaffenen: „Oh, seid mal nicht so überzeugt von euch! Denn ein Zöllner, der ehrlich bekennt, dass er ein Sünder ist, ist deutlich besser als ihr, die ihr euch in die Tasche lügt, wie anständig und gut ihr seid.

Und geht es uns selbst nicht auch oft so? Also mir geht es sehr oft so. Wie oft denke ich: „Bin ich froh, dass ich nicht so wie der oder die bin.“ Wie oft denken wir gerade hier in der Kirche: „Also wie der oder die, nein so bin ich nicht, so dumm, so faul, so schlecht; so überheblich und arrogant.“

Wie oft denken wir, dass wir selbst natürlich die Wahrheit gepachtet haben, und die anderen einfach nur dümmer oder eben noch viel schlechter sind als man selbst? Und noch etwas ist unter uns Christen ja sehr verbreitet. Da, wo ich herkomme, gibt es den Satz: „Also an Demut, da lasse ich mich von niemand übertreffen“. Auch darin bin ich so viel besser als die oder der.

So ist der Zöllner hier im Evangelium nicht. Der bekennt ehrlich seine Schuld. Und er bekennt sie Gott. Wissen Sie, ich so habe in meinem Leben inzwischen so viel Schuld angehäuft auf meinem Lebenskonto. Ich bin auf so viel Vergebung angewiesen.  Da kann ich gar nicht davon überzeugt sein, gerecht vor Gott zu leben. Aber wie oft machen wir das, gerade als Christen, gerade als Katholiken. Wie oft schließen wir andere aus? Andere Konfessionen, andere Lebensweisen, andere Glaubensformen; oder einfach nur Neuhinzugekommene, oder auch nur, weil jemand anders aussieht. Wie oft schließen z. B. Homosexuelle aus, und halten uns für besser? Wir sollen ihnen mit Achtung und Takt begegnen. Aber wie oft geschieht das dennoch ziemlich von oben herab? Takt schon, aber ich bin natürlich richtiger oder besser oder ordentlicher als die. Wie oft denken wir Kleriker, wir seien besser? Oder wie oft denken Laien, sie seien deutlich besser? Wie oft denken wir, wir sind besser als andere?

Diese Woche habe ich den schönen Satz gehört: „Die Wahrheit ist das Buch, das niemand zu Ende gelesen hat“ (Tomáš Halík). Auch wir nicht; auch ich nicht. Und dann zu bekennen: Ich bin auch nicht besser. Und vielem sogar schlechter als die oder der, das ist schwer. Ich weiß, wovon ich rede.

Aber genau das ist es, was Papst Franziskus mit „missionarischer Umkehr“ meint. Gerade am Weltmissionssonntag, den wir heute feiern. Da kann es nicht allein darum gehen, dass wir die anderen bekehren und zu besseren Menschen machen, sondern auch uns selbst.

Ich bedarf der Umkehr. Ich bedarf der Vergebung und ich bedarf der Gnade, die nur jenes unaussprechliche Geheimnis geben kann, das wir – mehr stammelnd als wirklich wissend – Gott nennen.

(Predigt am 30. Sonntag im Jahreskreis C, 22./23.10.2022 in Maria Gnaden, Berlin-Hermsdorf und St. Hildegard, Berlin-Frohnau)

Bild: privat

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