Adventliche Menschen werden

Evangelium

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Wir beginnen den Advent. Wir fangen an, uns darauf vorzubereiten, dass Jesus kommt; zu uns kommt; zu jeder und jedem von uns. Die große Philosophin Hannah Arendt hat einmal gesagt, der Mensch sei das einzige Wesen, das anfangen kann. (vgl. Hannah Arendt, Vita Activa, 2002, S. 226) Wir Menschen können anfangen, immer wieder anfangen. Wir sind nicht durch Zwang und Determination vollständig gebunden, sondern können immer wieder anfangen.

So beginnen wir jedes Jahr den Advent. Aber nicht als monotonen Kreislauf. Als ewige Wiederkehr des Gleichen. Wir fangen an, uns auf das Kommen unseres Retters und Erlösers vorzubereiten, indem wir uns an das erste Kommen Jesu in unsere Geschichte erinnern. Und daran denken, dass Christus am Ende aller Zeit wiederkommen wird. Denn das bedeutet ja Advent für uns Christen: Einmal, dass Jesus zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt an einem bestimmten Ort Mensch wurde. Einer von uns. In Zeit und Raum. Dann aber auch: Dass Christus am Ende von Zeit und Raum unser Erlöser sein wird, das Ziel aller Geschichte, allen Lebens, auch unseres eigenen Lebens. Auch auf diese Ankunft bereiten wir uns vor.

Und wie? Wir hörten es eben im Evangelium. Indem wir bereit sind, wachsam sind, wie es hier heißt. Und dann wird in vielen Bildern ausgemalt, wie wachsam sein zur damaligen Zeit aussieht. Aber wie werden wir bereit, wachsam? Indem wir adventliche Menschen werden. Und wie sieht so ein adventlicher Mensch aus?

Wie einer, der der erwartet; der weiß, dass jemand kommt. Der eine Erwartung, eine Hoffnung hat, und dem man diese Hoffnung vielleicht auch ansieht. Die Erwartung: Ich weiß, dass mein Erlöser lebt. Ich weiß, dass am Ende alles gut wird. Dass Christus auch zu mir kommt. Die Erwartung, dass Christus in uns „geboren“ wird und zu unserem Retter und Befreier, zu unserem Licht wird. Und dass wir dadurch zum Licht für andere werden. Dass Gott also seine Hoffnung auch in mich setzt. Das meint, ein adventlicher Mensch zu werden.

Ein adventlicher Mensch weiß, dass Gott ein für alle Mal bei uns ja zu uns gesagt hat, zu jeder und jedem von uns, egal wer wir sind. Aber dann ist es nicht folgenlos, wie wir unterwegs sind. Dann ist es nicht egal, wie wir leben; nach dem Motto: Wird schon gut gehen! Gott vergibt uns anyway. Es macht schon einen Unterschied, wie wir leben, das meint das Beispiel mit den Männern und Freuen, von den nur eine mitgenommen wird. Es macht einen Unterschied, ob wir wachsam sind oder nicht.

Wir Menschen sind im Allgemeinen sehr wachsam. Zum Beispiel sichern wir sehr wachsam ab, was uns gehört. Wir schließen unsere Türen zu; wir bauen Alarmanlagen in unsere Autos und unsere Häuser. Wir versichern alles Mögliche, und sichern so unseren Besitz und hoffen so, uns vor allen Gefahren zu schützen.

Das ist alles wichtig und gut. Aber wiegen wir uns damit nicht oft in einer trügerischen Sicherheit. Jesus sagt nicht: Tut das nicht, denkt nicht an euch selbst! Aber ich glaube, es geht nicht nur um unseren Besitz, auf den wir aufpassen sollen. Es geht auch nicht allein um uns selbst. Wenn dieses Evangelium uns heute etwas angeht, dann können wir doch gar nicht anders, als Jesu Weg mitzugehen. Dann müssen wir doch seine Worte zu unseren machen. Dann müssen wir aber an die Wachsamkeit und Aufmerksamkeit füreinander denken und vor allem daran, was wir für andere tun können.

Aber wo kümmere ich mich um die, die in Not sind, also die, um die Jesus gemeint hat – mit den Worten, die nicht vergehen. Und da wird es dann für uns Christen ganz konkret:

    • Dann dürfen wir nämlich diejenigen nicht vergessen, die in unseren Gemeinden am Rand stehen;
    • dann müssen wir wachsam sein auf Menschen, die unsere Hilfe brauchen, die krank sind, auch seelisch krank; die in ihren Zimmern sitzen und einsam sind.
    • Dann müssen wir uns darum kümmern, was in unserer Kirche schiefläuft; wo zum Beispiel Frauen ausgeschlossen werden, an den Rand gedrängt werden und leiden.
    • Dann müssen wir endlich denen Gehör verschaffen, die in unserer Kirche aufs Übelste misshandelt wurden;
    • oder denen, die wegen Ihrer sexuellen Identität am Rand stehen oder deren Lebenspläne zerbrochen sind.

Und dann müssen wir genauso wachsam sein auf das, was in unserer Gesellschaft schiefläuft,
– wo Menschen wirtschaftlich am Abgrund stehen,
– wo unsere Gesellschaft gerade gespalten wird,
– wo wir die Zukunft unserer Kinder zerstören
– oder wo z. B. einfach die Wahrheit geleugnet wird.

Auf all das müssen wir achten und wachsam sein, wenn die Worte Jesu für uns gelten sollen. Im heutigen Tagesgebet ist das sehr schön formuliert:

Hilf uns, dass wir auf dem Weg der Gerechtigkeit Christus entgegengehen und uns durch Taten der Liebe auf seine Ankunft vorbereiten“.

Christus entgegengehen auf seinem Weg, dem Weg der Liebe und der Gerechtigkeit, das ist eben auch Advent. Zu Beginn haben wir das bekannte Lied gehört: „Kündet allen in der Not …“. Darin heißt es, dass wir darauf vertrauen können, dass allen Menschen Gottes Heil zu Teil wird (vgl. GL, 221).

In diesem Vertrauen, in dieser Hoffnung werden wir adventliche Menschen.

 

(Predigt am 1. Adventssonntag, 27.11.2022, in Maria Gnaden, Berlin-Hermsdorf, und beim Ökumenischen Adventsgottesdienst in der Evangelischen Dorfkirche, Berlin-Lübars.)

Bild: privat

 

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