Das Opfer Jesu

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Evangelium

Als ich jung war, wuchs ich in dem Bewusstsein auf, dass der Karfreitag der wichtigste Feiertag für die Evangelischen ist. Aber für uns Katholiken sei der Ostersonntag viel wichtiger, und der Karfreitag sei nur der Durchgang zu Ostern und deshalb eigentlich zu vernachlässigen. Die Evangelischen, die würden den Karfreitag feiern, und wie! Aber wir Katholiken hätten schon immer die Osterfreude. Meine katholische Großmutter hat am Karfreitag noch Wäsche gewaschen, was die andere Großmutter, die evangelisch war, zur Weißglut trieb. Beide warfen einander vor, eben nicht rechtgläubig zu sein.

Dinge, die man sich heute, und schon gar in Berlin, kaum vorstellen kann. Denn ob nun der Karfreitag allein von Bedeutung ist oder die drei Tage insgesamt, interessiert heute hier nur eine Minderheit. Die meisten denken, das seien sowieso Sachen von vorgestern, und nur den Christen sei es halt wichtig, sich an diese alten Geschichten zu erinnern. Und schöne Bräuche sind es ja allemal!

Aber ich sagte es gestern Abend schon: Wir müssen uns davor hüten zu denken, dass das, was hier am Karfreitag passiert, bloß eine Erinnerung, ein Nachspielen, eine fromme Erzählung von etwas Vergangenem ist, das schon fast 2000 Jahre vergangen ist.

Wir sprechen ja vom Kreuz, vom Leiden und Tod Jesu gerne so, als ob es etwas ist, das einmal in ferner Vergangenheit in einer fernen Weltgegend passiert ist. Und die Schrecklichkeit, ja Absurdität dieser historischen Ereignisse, und auch die Abgegriffenheit unserer frommen Worte darüber, verdecken ja nur zu leicht, dass wir mit unserem eigenen, ganz praktischen Leben etwas zu tun haben mit der Passion Jesu. Nein: Alles zu tun haben! (vgl. Rahner, Karl: Das große Kirchenjahr. Geistliche Texte. Hg. v. Albert Raffelt. Freiburg, 1987, S. 211 f..)

„Christus zeigt am Kreuz Solidarität mit uns, damit [jede und] jeder sagen kann: Wenn ich falle …, wenn ich mich verraten und verlassen fühle, dann bist Du, Jesus, bei mir; wenn ich es nicht mehr schaffe, bist du bei mir; in meinem “Warum” ohne Antwort
bist du bei mir.“
(vgl. Papst Franziskus in der Messe vom Palmsonntag 2023)

Ich finde deshalb, der Karfreitag hat eine ganz enorme Bedeutung für uns. Jesus geht den Weg der Hingabe und der Liebe bis zur letzten Konsequenz. Jesus ist für uns gestorben, für uns alle, für alle Menschen.

Wenn wir unbarmherzig, mitleidlos, lieblos sind, gehen wir den Weg Jesu nicht. Erst wenn wir unsere Daseinsform des Egoismus verlassen, wenn wir im Füreinander leben, so wie Jesus es tut, erst dann sind wir auf seinem Weg, dem Weg ins Gottesreich. Denn erst dann verlassen wir den Weg der Angst um uns Selbst, um unseren Erfolg, unseren Egoismus. Nicht wenn wir besonders feierlich sind, besonders bombastisch, besonders fromm.

Aber obacht! Der Weg Jesu ist kein Weg des Erfolgs. Wir als Kirche sind wir keine Gemeinschaft des Erfolgs. Wir folgen einem, der in dieser Welt gescheitert ist;
einem „Looser“ könnte man sagen. Nietzsche hat gerade das uns Christen ja bekanntermaßen vorgeworfen: Wir kultivierten den Misserfolg. Wir folgten einem Gescheiteren. Wir Christen seien allesamt Verlierer. Dabei komme es doch auf den Willen zur Macht an, auf den Willen zum Erfolg.

Recht hat er! Hilflosigkeit, Verletzlichkeit zählen nicht gerade zu den Idealen dieser Welt. Und wir als Kirche? Wie oft muss man den Eindruck gewinnen, die Kirchen seien vornehmlich am eigenen Erfolg orientiert? An Macht! Oder nennen wir es vornehmer: an Einfluss. Wie oft spielen sich Kirchen zu Behörden auf, die über Heil oder Unheil bestimmen?

Cura animarum“, Sorge für die Seelen, ist das Wesen der Kirche, nicht: die Seelen zu quälen! Nein, wir folgen einem, der selbst zum Opfer wurde; der den Weg der Hingabe und Liebe geht – bis zur letzten Konsequenz.

Am Ende seines Lebens schrieb Alfred Delp im Tegeler Gefängnis, davon werde es abhängen, „ob die Kirche noch einmal einen Weg zu … [den] Menschen finden wird (…): Von die Rückkehr der Kirche in die ,Diakonie‘, in den Dienst der Menschheit. Und zwar in einen Dienst, den die Not der Menschheit bestimmt, nicht unser Geschmack (…). Es wird kein Mensch an die Botschaft vom Heil und vom Heiland glauben, solange wir uns nicht blutig geschunden haben im Dienst des physisch, psychisch, sozial, wirtschaftlich, sittlich oder sonst wie kranken Menschen …“ (vgl. Delp, Alfred: Gesammelte Schriften. Hg. v. Roman Bleistein. Bd. 4: Aus dem Gefängnis. Frankfurt /M, 1984, S. 319 f..) „Der Menschensohn ist nicht gekommen, sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen.“ (Mk 10,45).

(Predigt in der Feier vom Leiden und Sterben des Herrn, Karfreitag, 7.4.2023, Maria Gnaden, Berlin-Hermsdorf)

Bild: Velázquez: Gekreuzigter Christus, 1632, Madrid, Prado (Gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Cristo_crucificado.jpg?uselang=de)

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