Wir Menschen mögen die Dunkelheit nicht, die Nacht. Im Gegenteil: Wir versuchen alles, um sie loszuwerden. Man muss nur hinausgehen in die Städte oder jetzt auf die Weihnachtsmärkte oder in die Vorgärten: Alles erscheint in grellem Licht, das uns sagen soll: hier ist Leben, hier ist was los, hier ist es hell. Fast überall auf der Erde gibt es Licht. Man muss schon weit auf’s Meer hinausfahren oder in die Wüste gehen, um wirkliche Dunkelheit zu erleben. Die Wissenschaft spricht inzwischen von einer „Lichtverschmutzung“, die 80% der Weltbevölkerung betrifft. Aufnahmen der Erde aus dem Weltall zeigen es ganz deutlich. Das künstliche Licht nimmt immer mehr zu. Wir Menschen versuchen alles, um die Nacht, die Dunkelheit, loszuwerden.
Zur Zeit von Johannes vom Kreuz, dessen Fest wir heute feiern, war das noch anders. Da gab es noch wirkliche Dunkelheit, die uns ängstigt, die uns lähmt, die uns die Orientierung verlieren lässt. Johannes vom Kreuz hat erkannt: Auch in seiner Seele gibt es eine Dunkelheit. Aber die war für ihn nichts Schlechtes! Das war für ihn keine seelische Finsternis wie Depression oder Verzweiflung. Im Gegenteil: Er gebauchte das Bild von der „dunkle Nacht der Seele“ und meinte damit genau die Art und Weise, wie wir Gott erfahren.
Gott ist für uns nicht einfach da, wie ein Tisch oder Stuhl, sondern er ist da und doch dunkel für uns. Das meint die dunkle Nacht für ihn.
Gott sucht uns, noch bevor wir ihn suchen. Gott will uns lieben, noch bevor wir ihn lieben, und Gott will unser Glück, noch bevor wir überhaupt eine Ahnung davon haben, was das für ein Glück sein könnte in unserem Leben. Gott ist immer schon da, immer schon bei uns, immer schon in unserer Seele, und doch sehen wir ihn nicht. Das macht es nicht gerade einfach.
Und genau so ist auch der Advent: Gott ist da, Mensch geworden wie wir, Mensch geworden für uns – aus reiner Liebe! Aber dennoch müssen wir erst auf ihn warten.
Wir leben im Advent; nicht nur jahreszeitlich. Wir warten auf Gott, sehen ihn zwar nicht, wissen aber doch, dass er für uns da ist, dass er auch zu mir und zu dir kommt. Der große Theologe Karl Rahner hat einmal sinngemäß gesagt: „Alle Bitterkeit unseres Lebens ist nur die Mahnung, dass noch Advent ist, aber alles Glück ist die Bestätigung, dass schon Advent ist.“ Wir leben im Advent, in einer Dunkelheit, die nichts Bedrohliches ist, nichts Trauriges, nichts, das wir los werden müssten, sondern von der wir wissen: Unser Licht ist schon da, Jesus und seine Liebe, das Ziel unseres Lebens.
(Ansprache in der Roratefeier, 14.12.2018, Maria Gnaden, Berlin-Hermsdorf)