Liebe Schwestern, liebe Brüder,
aller Anfang ist schwer! Das gilt nicht nur für Predigten. Jetzt fange ich also diesen Dienst als Diakon an, und ich freue mich, dass es losgeht, dass ich für mich diesen Weg der Nachfolge ergreife. Ich habe lange gebraucht, um zu erkennen, dass das mein Weg der Nachfolge ist: Diakon zu sein.
Da wir bisher in unserer Pfarrei noch keinen Ständigen Diakon hatten, ist es sicher gut, wenn ich am Anfang darüber Auskunft gebe, was ich unter diesem Dienst verstehe. Und glauben Sie mir: Es ist gar nicht so leicht, Diakon zu werden:
– Ich meine jetzt gar nicht die lange Ausbildung.
– Ich meine auch nicht, heutzutage Amtsträger der Kirche zu werden und sie damit zu repräsentieren und quasi seinen Namen herzugeben für eine Gesellschaft, die bei vielen unserer Zeitgenossen einen ausgesprochen zweifelhaften Ruf hat. Das mag auch schwer sein und muss eigens begründet werden. Gerade heutzutage! Aber das meine ich jetzt nicht.
– Ich meine auch nicht, hier in der Heimatpfarrei tätig zu werden und damit eine neue Rolle zugeschrieben zu bekommen und Erwartungen, die vielleicht anderswo leichter zu handhaben wären. Das kann auch schwer sein und muss sich zeigen.
– Ich meine auch nicht, von jetzt an solche Kleidungsstücke zu tragen. Auch das fällt mir nicht leicht, hat aber, wenn man es richtig versteht, seinen guten Sinn.
Nein, ich meine vielmehr: All‘ das zu leisten, was meine vier Mitbrüder und ich gestern in St. Joseph versprochen haben, und da sind „Ehrfurcht und Gehorsam gegenüber dem Bischof“ noch am Einfachsten.
Zum Beispiel haben wir versprochen:
– „Den Schatz des Glaubens treu zu hüten und in Wort und Tat zu verkünden“, und zwar gemäß dem Evangelium und der Tradition.
– Und: „Aus dem Geist der Innerlichkeit zu leben und ein Mann des Gebetes zu werden.“
– Und: „Den Armen und Kranken beizustehen und den Notleidenden und Heimatlosen zu helfen.“
– Und dann: „Dem Bild und Beispiel Christi zu folgen und danach das eigene Leben zu gestalten.“
Das meine ich mit schwer. Das kann man nicht allein schaffen. Niemand kann das allein; aus eigener Kraft; aus dem bloßen Willen und eigener Herrlichkeit heraus. Niemand! Wenn ich das also jetzt anfange, dann kann ich es nur im festen Vertrauen darauf, Hilfe zu haben; nicht allein zu sein; getragen zu sein von Menschen – und von Gott. Dass Andere und dass Gott immer wieder bereit sind, mit mir neu anzufangen: Das ist das Entscheidende.
Einer der Fehler, die wir in der Kirche bis heute machen, ist ja zu denken, alles komme auf die Amtsträger an oder auf die Hauptamtlichen. Gemeinden sind nicht für die Amtsträger da, sondern Amtsträger sind nur die Diener ihrer Gemeinden, ja aller Menschen. Denn es ist ja nicht so, dass Amtsträger keine Laien wären. Wir alle sind und bleiben „Laien“ – unser Leben lang, weil wir alle „Volk Gottes“ sind. Daran ändert auch eine Weihe oder Ordination nichts. Wir alle sind und bleiben Laien. Kirche ist eben nicht nur die Amtskirche: Kirche sind wir alle; wir alle sind Gottes Volk; sind Jesu „Freunde“ (Joh 15,15), so hat er uns genannt; alle, die die Beziehung zu ihm suchen und bereit sind, seinen Weg mitzugehen. Vielleicht können gerade Ständige Diakone hier eine Brücke sein und zeigen: Wir alle sind und bleiben aufgefordert anzufangen – immer wieder.
Denn wir Menschen zeichnen uns ja dadurch aus, dass wir anfangen können, immer wieder anfangen; dass unser Leben nie ein- für allemal entschieden ist. „Der Mensch wurde erschaffen, um einen Anfang zu machen“ (Augustinus, Civ.Dei, XII, 21).
– Fangen wir also an: Nicht ich allein, sondern wir alle, immer wieder!
– Fangen wir an, diese Kirche zu gestalten und zu erneuern; immer wieder!
– Fangen wir immer wieder an, Menschen des Gebetes zu sein!
– Fangen wir immer wieder an, Jesus so nachzufolgen, dass Andere ihn erkennen in dem, was wir tun und was wir sagen!
– Und fangen wir immer wieder an, nicht nur für uns selber da zu sein, sondern auch für die, die auf den ersten Blick gar nicht zu uns gehören; die anders sind; die vielleicht mit der Kirche bereits denkbar schlechte Erfahrungen gemacht haben.
– Fangen wir immer wieder an, für Andere da zu sein. –
„Ich bin nicht Diakon geworden:
– um dabei mitzuhelfen, die Kirche abzuwickeln.
– Auch nicht, um als Kleriker einer zukünftigen Gestalt des Kircheseins im Wege zu stehen,
– oder um den Armen, den Kranken, den Notleidenden zu sagen:
Tut mir leid, um Euch kann sich hier keiner kümmern.“ Wir haben hier in der Kirche genug Sorgen mit uns selbst. (vgl. http://www.bistum-hildesheim.de)
Eben haben wir gesungen: „Mache uns zu Boten deiner Liebe!“ (GL 456) Darauf kommt es an: immer wieder anzufangen, Boten seiner Liebe zu werden. Immer wieder! Und die Kirche ist nur dazu da, zu helfen, Boten seiner Liebe zu sein. Nur dazu bin ich Diakon in dieser Kirche.
Früher dachte ich, ich müsse Andere belehren. Das ist falsch. Inzwischen habe ich gelernt, dass es meine Aufgabe ist, Andere zu lieben. (vgl. Mutter Theresa) – Christsein ist doch keine bloß intellektuelle Angelegenheit, als gehe es nur darum, Andere von der Richtigkeit meiner Argumente zu überzeugen. Ein Fehler, den wir in der Kirche wirklich oft machen!
Christsein ist doch eine Art zu leben. Christ zu sein heißt doch vor allem, die „schmutzige Hand anzufassen und [demjenigen, der in Not ist,] in die Augen zu schauen, und zu denken: Für mich bist du Jesus.“ Aber nicht zu denken: Ich erkläre diesen Dummköpfen da draußen mal, was Religion ist. (vgl. Papst Franziskus) Wir alle sind berufen, uns zu fragen: Will ich das Evangelium leben? Und wie will das? Ich habe lange gebraucht, um zu merken: Ich will es als Diakon dieser Kirche. Das ist mein Weg der Nachfolge.
Ich habe hinten in der Kirche zwei kleine Bilder von Sieger Köder ausgelegt, und die Ministranten werden sie Ihnen nachher am Ausgang schenken:
– Das eine zeigt „Jesus und Simon von Cyrene“ – wie sie einander stützen. Es zeigt uns: Wir sind niemals allein gelassen, nie!
Er ist bei uns, und wir sind bei ihm, wenn wir Boten seiner Liebe sind.
– Das andere zeigt „Das Mahl mit den Sündern“ – mein Lieblingsbild: Jede und jeder von uns wird sich in einer oder einem derjenigen wiedererkennen können, die Jesus da an seinen Tisch bittet und denen er seine offenen Hände hinhält.
Mittelsmann für diese offenen Hände will ich als Diakon sein. Nichts anderes. Und für diese offenen Hände ist niemand ausgeschlossen. Niemand! (vgl. Paul VI., 8.12.1965)
Gott ist da, mitten unter uns, jetzt, mit offenen Händen, und sein Bund mit allen besteht für immer. (vgl. Gen 9, 12) Allen Menschen bietet er seine Liebe und Zärtlichkeit an. Allen! Dafür steht der Regenbogen. Boten seiner Liebe sollen wir sein. Denn das Gegenteil davon, das wurde uns im heutigen Evangelium gezeigt: Lieblosigkeit! Sie ist die einzige Schuld, die bleibt: Was der Reiche da erlebt, ist die Hölle – schlechthin; das, was der arme Lazarus sein ganzes Leben lang ertragen musste. Nämlich: Lieblosigkeit! (vgl. Lk, 16, 19-31)
Das Evangelium sagt uns: Arm zu sein ist nicht schön. Niemand will arm sein. Und wie leicht sind wir selbst genau so wie der Reiche: lieblos und selbstsüchtig. So zu leben wie der arme Lazarus ist nicht erstrebenswert. Niemand will so leben. Aber wir müssen in gewisser Weise arm werden, um Gottes Gegenwart spüren zu können. Warum kann denn der Reiche nicht zu Abraham kommen? Weil er in dieser Weise nicht „arm“ ist, weil er nur für sich da selbst ist und nicht für andere. Diese Armut ist gemeint: Nicht mehr nur für sich da zu sein, sondern für den Anderen. Dann leben wir in Gottes Gegenwart.
Die Lesungen heute waren überhaupt ziemliche Moralpredigten, und ob ich, wie der Paulus-Brief sagt, meinen Auftrag „rein und ohne Tadel“ (1 Tim 6,14) erfüllen werde, wage ich zu bezweifeln. Nein, der Satz, der für mich selbst am meisten gilt, das ist die Mahnung des Propheten Amos: „Das Fest der Faulenzer ist vorbei.“ (Am 6,7) Ich verspreche Ihnen: Daran versuche ich mich zu halten. Amen.
(Predigt zum Dienstantritt als Ständiger Diakon der Pfarrei St. Franziskus am 29. September 2019 in Maria Gnaden, Berlin-Hermsdorf, 26. Sonntag i. Jk. C [Lk 16,19-31])