Liebe Schwestern, liebe Brüder, ich möchte niemandem zu nahe treten, aber auch: liebe Kleingläubige!
Also ich bin ein Kleingläubiger. Mein Glaube ist sogar ziemlich klein. Ich bin z. B. ganz sicher, dass ich nicht übers Wasser gehen kann.
Aber darum geht es hier gar nicht. Es geht hier nicht um Magie. Jesus ist kein Zauberer. Es geht um Vertrauen.
Die Jünger sitzen im Boot, und es gibt Gegenwind. Das Boot droht nicht zu kentern, es wird nur ein bisschen durchgeschüttelt. Und was machen die Jünger? Sie bekommen es mit der Angst zu tun. Allzu menschlich! Und als sie Jesus sehen, glauben sie, es sei ein Gespenst, und müssen erstmal überzeugt werden, dass er es wirklich ist.
Und als Jesus dem Petrus sagt: „Komm her, ich bin es! Vertrau mir!“, was macht Petrus da? Er zweifelt, er hat Angst, er denkt sich, das kann ja unmöglich gehen, dass ich zu Jesus gelange – in dieser Situation. Sehr menschlich!
Genau so wäre ich wahrscheinlich auch: Kleingläubig eben.
Und was macht Jesus? Er streckt die Hand nach ihm aus und rettet ihn. Schon der Name „Jehoschua“ heißt ja nichts anderes als: Gott rettet – in jeder Situation! Auch wenn diese Rettung nicht in jedem Fall so ist, wie wir sie uns vorstellen.
Ich möchte Ihnen und euch heute gerne von einer Frau erzählen, die einen wirklich großen Glauben hatte:
Denn genau heute vor 78 Jahren haben die deutschen Nazis in Auschwitz – zusammen mit unzähligen anderen, deren Namen wir nicht kennen – Edith Stein ermordet.
Edith Stein wurde als Kind einer jüdischen Familie und einer sehr strengen Mutter in Breslau geboren. Sie emanzipierte sich aber früh aus dem Leben ihrer Familie und verlor – wie sie selbst sagte – sehr schnell ihren Kinderglauben. Durch ihr Studium und ihre philosophischen Fragen ans Leben und an die Welt wurde sie eine erklärte Atheistin.
Was sie aber auch zu dieser Zeit und zu jeder Zeit wollte, war, „der Menschheit zu dienen“, wie sie sagte. Zunächst als Wissenschaftlerin und Lehrerin, und ganz besonders als Förderin von Frauen.
Als Philosophin war Edith Stein immer auf der Suche nach der Wahrheit, und später schrieb sie: „Wer die Wahrheit sucht, sucht [im Grunde] nach Gott, ob er es weiß oder nicht.“ Ich mache es kurz: 1922 ließ sie sich taufen – ihre Taufpatin war übrigens eine Protestantin –, und 1933 wurde sie schließlich in Köln Karmelitin. Von den Nazis wurde sie – wie ihre Mitschwestern – von Anfang an drangsaliert.
Auch die Flucht in die Niederlande half nichts, im August 1942 wurde sie mit ihrer Schwester Rosa verhaftet, nach Auschwitz deportiert und dort heute vor 78 Jahren ermordet. Bei ihrer Verhaftung habe sie zu ihrer Schwester gesagt: „Komm, wir gehen für unser Volk!“
Als Papst Johannes Paul II. Edith Stein 1987 in Köln seliggesprochen hat, war ich in Köln dabei. Ich erinnere mich noch sehr genau: Ich war damals Mitte 20 und alles andere als gläubig, nicht einmal kleingläubig. Auch mich hätte man zu dieser Zeit einen Atheisten nennen können, so wie das Edith Stein einmal von sich sagte. Aber Edith Stein sagte auch:
„Meine Suche nach der Wahrheit war im Grunde ein einziges Gebet“ – ein schönes Wort für alle, die sich mit dem Glauben schwertun! „Wer die Wahrheit sucht, sucht nach Gott, ob es ihm klar ist oder nicht.“
Aber die Wahrheit ist nichts – und zwar gar nichts – ohne Liebe! Johannes Paul II. sagte damals, Edith Stein lehre uns alle: „Akzeptiert nichts als Wahrheit, was ohne Liebe ist!“
Ich finde, das ist ein Satz, den sich alle, wirklich alle, die sagen, sie wüssten ganz genau, was die Wahrheit ist, – innerhalb wie außerhalb der Kirchen – immer wieder hinter die Ohren schreiben müssen. „Akzeptiert nichts als Wahrheit, was ohne Liebe ist!“
Das ist zutiefst jesuanisch. Ja, man könnte sogar sagen: Für Jesus liegt die Wahrheit schlechthin in der Liebe. Denn wer den Nächsten liebt, weiß, wer Gott ist. Und sonst nicht. Gott ist Liebe, und nichts kann uns von dieser Liebe trennen.
Ich sagte es: mein Glaube ist sehr klein. Aber woran ich mit Sicherheit glaube, ist, dass wir Menschen Wahrheit suchen; und dass wir diese Wahrheit finden können; und dass es die Wahrheit in Person gibt; dass sie einen Namen hat: Jesus!
Jehoschua, der aus Liebe zu uns Mensch geworden ist
und aus Liebe zu uns am Kreuz gestorben ist
und aus Liebe zu uns auferstanden ist.
An diese Wahrheit hat die Hl. Edith Stein geglaubt. Und ich bin fest davon überzeugt: Diese Wahrheit war bei ihr, als sie heute vor 78 Jahren in die Gaskammer gegangen ist.
Ich sagte es schon: Es geht im Evangelium heute, wie immer in der Frohen Botschaft Jesu:
um unsere ganz persönliche Beziehung zu Gott,
es geht um Vertrauen!
es geht um Jehoschua!
Es geht darum, dass Gottes Liebe rettet.
Ich weiß, viele geraten in ihrem Leben in Situationen, wo sie gerade das nicht glauben können. Und angesichts des Leids, das vielen widerfährt, mag man mich für naiv halten, gerade wo ich Edith Stein erwähnt habe, aber ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Gottes Liebe rettet, und zwar in jeder Situation unseres Lebens, wirklich jeder, so schwer uns das manchmal zu glauben fällt.
(Predigt zum 19. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A, am 9.8.2020 in Maria Gnaden, Berlin-Hermsdorf)