Im heutigen Evangelium geht’s ans Eingemachte! „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“, fragt Jesus die Jünger. Aber diese Frage ist genau so an uns gerichtet: Wer ist dieser Jesus ganz konkret für mich? Ist er so jemand wie Johannes der Täufer oder einer der Propheten? Elija oder auch Mohammed? Ist er einer, der viele gute Dinge über Gott und die Welt gesagt hat und der uns vor allem eine Ethik lehrt, die unser Leben und unser Handeln wirklich gut machen würde, wenn wir sie denn befolgten? Sicher, das ist er bestimmt. Kreuzworträtsel summieren ihn unter: Religionsstifter – mit fünf Buchstaben. Aber ist er das allein? Oder ist er wirklich der Christus, der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes? Und es stimmt, was er von sich selbst sagt: „Ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,30). Wer ist dieser Jesus wirklich? Da gibt es eigentlich nur drei Möglichkeiten:
Entweder Jesus und seine Apostel waren Betrüger, und das, was hier steht, sind Erfindungen, um die Menschen hinters Licht zu führen oder aus welchen Gründen auch immer. Dann wären er und die Jünger und unzählige Andere für eine Lüge gestorben. Kann das wahr sein? Die zweite Möglichkeit: Jesus glaubte wirklich daran, dass er der Sohn Gottes ist, aber er war nicht ganz richtig im Kopf. Ein Verrückter eben. Dann wäre dieser Irrtum doch innerhalb der letzten 2000 Jahre mit Sicherheit aufgeklärt worden. Dann wären doch nicht so viele diesem vermeintlich Irren gefolgt. Oder es ist wirklich wahr: Jesus ist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes; wahrer Mensch und wahrer Gott, wie es in unserem Glaubensbekenntnis heißt.
Wir alle müssen uns die Frage stellen: Wer ist dieser Jesus für mich?
Denn das Christentum ist ja keine Religion wie die anderen, zum Beispiel wie die antiken Mythologien oder wie der Islam oder die hinduistischen Religionen. Die verehren einen Gott (oder auch viele Götter), und die sind in unaussprechlicher Ferne von uns geschieden, ganz jenseitig, und niemand von uns kann sie je wirklich erreichen. Und wir Christen? Wenn wir mit Petrus sagen: „Du bist der Christus“, dann sagen wir: du bist wirklich ein Mensch wie wir und wirklich Gott. Also nicht einer, der nur prophetisch über Gott redet, sondern Gott selbst. Und wir glauben dir, wenn du das von dir selbst sagst. Das ist ja für andere Religionen gerade das Anstößige am Christentum, und, wenn Sie so wollen, sein Alleinstellungsmerkmal; und jede und jeder von uns muss sich immer wieder entscheiden, ob das gilt: dass Jesus der Christus ist, und was das für einen selbst bedeutet. Denn daran hängt alles: Daran hängt unser ganzer Glaube, unser Verständnis von Kirche, die Sakramente, ob das, was wir hier machen ein nettes Spiel ist, eine schöne Symbolik, oder ob es wirklich unser Leben, unser eigenes Leben, ganz und gar tragen kann; ob ich mein Leben und meinen Tod ganz auf diesen Jesus setzen kann, auf diese eine, einzige Karte.
Mit dem Bekenntnis des Petrus geht es wirklich ans Eingemachte. Wer ist Jesus für mich? Denn nur dann ist Nachfolge möglich. Denn nur dann ist möglich, was Dietrich Bonhoeffer einmal gesagt hat: Nämlich, dass „jedes Wort der Heiligen Schrift ein Liebesbrief Gottes“ an mich ganz persönlich ist und mir „die Frage stellt, ob ich Jesus lieb habe“ (vgl. Eberhard Bethge: Dietrich Bonhoeffer, 1967, S. 248). Es geht um unsere persönliche Beziehung zu Gott.
Dann sagt Jesus zu Petrus: „Und du bist der Fels“. Auf dich baue ich meine Kirche. Dir gebe ich die Macht zu lösen und zu binden. Sie kennen vielleicht die Kuppel des Petersdomes in Rom. Im Innern dieser Kuppel steht genau dieser Satz in riesigen Buchstaben; über 2 Meter hoch: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwinden.“ Daraus leitet seit jeher das Papsttum seine Bedeutung ab. Der Papst ist der Nachfolger dieses Petrus, auf den der Herr seine Kirche baut.
Wir kennen das aus den Medien: das, was in den größten Buchstaben geschrieben ist, ist immer am Wichtigsten. Dann scheint also das am Wichtigsten zu sein; zumindest in Rom. Jetzt nehmen wir mal für einen Moment an, nur für einen Moment, es gäbe den Papst nicht, und das Wort, das Jesus über Petrus gesagt hat, würde nicht stimmen. Das ist natürlich absurd. Aber nehmen wir es nur kurz an. Was würde dann fehlen? Vieles natürlich. Das ist klar. Ich komme gleich darauf zurück. Nehmen wir nun kurz an, das, was Petrus über Jesus gesagt hat, würde nicht stimmen, und Jesus wäre nicht der Christus. Was wäre dann? Sie sehen das unterschiedliche Gewicht der beiden Sätze. Natürlich ist die Kirche, so wie sie verfasst ist, auf den Petrus und seine Nachfolger gebaut. Natürlich haben die eine ungeheure Bedeutung. Natürlich brauchen wir den Dienst des Papstamtes. Aber das ist nicht das Primäre. Wenn Jesus nicht der Christus wäre, was würde das für mein Leben bedeuten? Für den Sinn meines Lebens und meines Todes.
Ich frage mich also, so schön die Kuppel des Petersdoms auch ist, müsste da nicht eigentlich irgendwo auch in Riesenlettern stehen: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“? Das ist doch das viel Wichtigere. – Im Übrigen: Natürlich war Petrus nicht der erst Papst im Sinne unseres modernen Verständnisses dieses Amtes. Das gibt es erst seit 150 Jahren. In den frühen Gemeinden gab es diese Differenzierung von Ämtern noch nicht. Wir müssen also immer bedenken: Das, was der Herr hier tut – dem Petrus die Schlüsselgewalt zu geben, ist zuerst ein geistiges und geistliches Handeln, kein Akt des Kirchenrechts. Das kommt erst – in der Ausdifferenzierung, die heute gilt – viel später. Und natürlich ist das Kirchenrecht wichtig. Ob es in jedem Satz richtig ist, ist eine andere Frage. Aber das Petrusamt ist zu allererst ein geistlicher Dienst an den Menschen, erst dann eine juristische Instanz.
Ich frage mich sowieso oft, ob wir in der westlichen Kirche uns nicht viel zu sehr am juristischen Denken orientiert haben: Kirche als Rechtsbegriff; Amt als Rechtsbegriff; Sakramente als Rechtsbegriff. Und ob wir nicht viel zu oft vernachlässigen, was in den östlichen Kirchen stärker ist: die Orientierung an der Medizin; dass Kirche eben vor allem zum Heilen da ist, zum Helfen. Denn wenn der Herr zu Petrus sagt: „auf dich baue ich meine Kirche“, dann ist doch nicht zwangsläufig nur gemeint: du hast die höchste Jurisdiktionsgewalt, du bist oberster Richter. Er meint doch sicher auch: Du sollst derjenige sein, der als erster dafür zu sorgen hat, dass die Menschen mich als den Christus erkennen. Du sollst meine Schafe weiden (vgl. Joh 21,16 f.) und für sie sorgen; ganz für den Dienst an den Menschen da sein; damit sie spüren: Jesus ist derjenige, der rettet und heilt, nicht nur derjenige, der richtet. Jesus ist der Christus.
(Predigt am 21. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A, 22./23.8.2020, in St. Hildegard, Berlin-Frohnau, und Maria Gnaden, Berlin-Hermsdorf)
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