Ein Beispiel, damit auch ihr so handelt

Joh 13,1-15

Wir beginnen die österlichen Tage; die Tage, die uns immer wieder bewusst machen können: Wir gehen mit Jesus den Weg des Leidens, den Weg in den Tod, aber auch den Weg in Gottes neues Leben. Davor hat er uns dieses „Gastmahl seiner Liebe“ geschenkt. Er gibt dem Pessachmahl eine neue Bedeutung: Er schenkt sich uns selbst ganz, wenn er sagt: „Das ist mein Leib für euch!“; wir können ergänzen: für euch hingegeben. Er schenkt uns die Eucharistie, und er schenkt uns das priesterliche Amt. Das macht den Gründonnerstag aus.

Aber der Gründonnerstag ist noch mehr. Das englische Wort für Gründonnerstag drückt das am besten aus. Dort heißt Gründonnerstag: „Maundy Thursday“. Maundy kommt vom lateinischen „mandatum“ und bezieht sich auf das Evangelium, wo es heißt: „Ein neues Gebot“, lateinisch mandatum, „gebe ich euch: Liebt einander, wie ich euch geliebt habe“ (Joh 13,34). Und das Zeichen dafür ist die Fußwaschung.

Dem Corona-Virus geschuldet findet in diesem Jahr keine Fußwaschung statt. Damit fehlt dieses Zeichen. Nun kann man sagen, dass die Fußwaschung sowieso nur fakultativ sei und in vielen Kirchen gar nicht praktiziert werde. Das ist richtig. Aber was Jesus hier vollzieht, ist Kern seiner Botschaft und damit Kern des Christseins. Denn wir Christen glauben ja nicht an eine Theorie oder ein System von Ideen. Und auch die dogmatische Theologie in allen ihren Verästelungen, sie mag klug und richtig und auch spannend sein, aber sie ist immer nur abgeleitet. Woran wir glauben, oder besser wem wir glauben, ist eine Person, einzig und allein Jesus und dem, was er uns sagt. Das ist das Entscheidende. Denn nur, wenn das hier mehr ist als eine interessante historische Erzählung von vor 2000 Jahren; wenn das, was Jesus sagt, auch für mich heute gilt, hat diese Botschaft überhaupt eine Bedeutung. Darum geht es: Ob das, was in der Fußwaschung ausgedrückt wird und was er uns hier sagt: „Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe“, ob das auch für uns gilt. Und wenn dem so ist, dann ist die Fußwaschung von ganz entscheidender Bedeutung. Denn in ihr drückt Jesus genau das aus, was er von uns will. „Begreift ihr, was ich an euch getan habe?“, fragt er die Jünger, und das fragt er auch uns. Jesus geht übrigens soweit zu sagen: Nur dadurch, dass er uns die Füße wäscht, haben wir Teil an ihm; dadurch, dass er zum Diener aller Menschen wird. Und genau so sollen wir es auch machen: Einander die Füße waschen! Denn wenn er sagt: „Liebt einander, wie ich euch geliebt habe!“, ist das ja kein romantisches Gefühl à la Hollywood mit roten Rosen und schicken Geschenken. Das meint ganz handfest und ganz alltäglich: füreinander da zu sein. Und das drückt die Fußwaschung aus.

Dietrich Bonhoeffer drückte das einmal so aus: Christ ist man nie für sich selbst, sondern immer für andere. Christen sind nichts anderes als Boten der Liebe Jesu.

Aber was haben wir in den letzten Wochen wieder erlebt? Da hat sich in Köln wieder gezeigt, was für abscheuliche Verbrechen jahrzehntelang begangen wurden, und wie Verantwortliche der Kirche dies vertuscht haben. Da hat sich gezeigt, dass Leute der Kirche vornehmlich für sich selbst da waren und eben nicht für andere. In den Augen vieler, sehr vieler Menschen sind wir Kirchenleute moralisch vollständig diskreditiert. Das machen wir uns gar nicht klar. Und was machen wir als Kirche? Im selben Augenblick stellen wir uns hin und dekretieren, dass gleichgeschlechtlich liebende Menschen keinen gemeinsamen kirchlichen Segen haben dürfen, weil das dem Schöpfungsplan nicht entspreche. Nun kann man sagen: Na ja, das ist ja wohl etwas anderes; das war ja nur zufällig zum selben Zeitpunkt. Das stimmt. Aber man muss sich schon fragen: Erfüllen wir wirklich das Gebot des Gründonnerstags? Sind wir wirklich genug für andere da?

In der Nacht des Gründonnerstags hat Jesus geweint und gelitten. Noch immer leidet Christus. Er leidet in jedem Kind, dem Gewalt angetan wird; er leidet in jeder Frau und in jedem Mann, die wir verachten; er leidet in jeder Kreatur, die wir ausnutzen. Er leidet in der Angst und der Einsamkeit, in der Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung so vieler.

Dagegen hat der Herr das Zeichen der Fußwaschung gesetzt. Er wäscht uns die Füße. Deshalb können wir es nicht dem Zufall überlassen, ob wir selbst Diener sind und eine dienende Kirche. Es ist eine Entscheidung. Jesus hat diese Entscheidung getroffen, und die Kirche muss sich entscheiden.(1) „Wenn ich, der Meister und Lehrer, Euch die Füße gewaschen habe, dann sollt auch ihr einander die Füße waschen“, sagt er uns.

Nur eine Kirche, die den Menschen dient, dient zu etwas.

Daran hängt buchstäblich alles. Denn heute die Fußwaschung und das eucharistische Mahl, morgen das Leiden und der Tod am Kreuz und dann am Ostertag seine Auferstehung ins Leben hinein: sie gehören zusammen. Sie sind nichts anderes als der eine Weg seiner vollkommenen Liebe zu uns. Er ist ganz für uns da, für jede und jeden einzelnen. Er hat uns ein Beispiel gegeben, damit auch wir so handeln, wie er an uns gehandelt hat (vgl. Joh 13,15).

(1) vgl. Luis Antonio Kardinal Tagle: „Heil und Heilung in einer diakonischen Kirche.“ Internationale Studienkonferenz des IDZ, Lourdes 2017, zitiert nach: https://youtu.be/7P_Cq_8WoVY

(Predigt am Gründonnerstag, 1.4.2021, Maria-Gnaden, Berlin-Hermsdorf)

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