Fast genau vor einem Jahr sagte Gesundheitsminister Spahn im Bundestag: In ein paar Monaten werden wir einander wahrscheinlich viel verzeihen müssen. Das gilt für jede und jeden – auch in unserer Kirche. Denn gerade in diesem Corona-Jahr haben wir in der Kirche wahrlich nicht alles richtig gemacht. Da gab es Priester, die doch ernsthaft mit Beginn des Lockdowns sagten, sie hätten ja jetzt frei und könnten sowieso nichts tun. Da gab es Bischöfe, die doch ernsthaft darüber nachdachten, COVID-19 sei eine Strafe Gottes für unseren mangelnden Glauben. Und es gab auch diejenigen, die sich sagten: Wenn jede/r an sich selbst denkt, ist an alle gedacht. Aber es gab auch Unzählige in unseren Gemeinden, die ganz neue Formen der Zuwendung zu den Menschen gefunden haben, die sich ganz unmittelbar um Hilfsbedürftige kümmerten und die schnell und sehr kreativ unsere Gottesdienste den neuen, schwierigen Bedingungen angepasst haben.
Über uns alle war Corona ohne Vorbereitung hereingebrochen. Aber wir konnten daran lernen, ob wir für unsere Nächsten da sein wollen oder nur für uns selbst. Und ich finde, das sollte auch für die Zeit nach Corona gelten.
Dabei ist doch völlig klar, was unser Herr von uns will: Wir müssen für diejenigen da sein, die in Not sind, die Angst haben, die leiden. Zu ihnen hingehen und nicht nur warten, bis jemand kommt! Das ist es, was Christus uns gelehrt hat: Bei den Menschen zu sein. Nah dran zu sein. Auch wenn es nicht immer einfach ist; gerade dann, wenn direkte Kontakte zu vermeiden sind. Aber auch dann kann es viele Wege geben, für andere da zu sein, so banal sie manchmal auch klingen mögen: telefonieren, schreiben, wenigstens bis zur Wohnungstür die Menschen aufsuchen, ihnen ein Lächeln zu schenken oder ein Zeichen der Umarmung und vor allem Ihnen Hilfe anzubieten. Und am wichtigsten: für sie zu beten! Das alles war problemlos auch in Corona-Zeiten möglich.
Gerade diese einfachen Formen, den Menschen nahe zu sein, vor allem den Älteren und den Kranken, sind Zeichen der Liebe, der geschwisterlichen Solidarität, die uns Christus aufgetragen hat und die wir alle so dringend brauchen. Und genau davon hätten wir in dieser Zeit noch mehr zeigen können. Wo es geschehen ist, haben Christinnen und Christen ihrem Namen alle Ehre gemacht. Wo es nicht geschehen ist, haben wir uns in der Tat immer wieder eine Menge zu verzeihen. Denn nur eine Kirche, die den Menschen dient, dient zu etwas.
©️ Auf dem Weg. Das Magazin für den Pastoralen Prozess „Wo Glauben Raum gewinnt“, Ausgabe 01/April 2021, Hg.: Erzbischöfliches Ordinariat Berlin, Berlin, 2021, S. 20.