„Und er stellte ein Kind in ihre Mitte“

Mk 9,30-37

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Heute ist Caritas-Sonntag! Wenn wir das Wort Caritas hören, denken wir hier bei uns sofort – und völlig zurecht – an die Hilfsorganisation, das kirchliche Unternehmen, das so viele Krankenhäuser, Kindertagesstätten, Seniorenheime und Hilfsdienste betreibt.

Aber Caritas ist mehr. Das lateinische Wort „Caritas“ meint im Deutschen so viel wie Liebe, aber nicht irgendeine Art von Liebe, sondern: Hingabe, liebende Hingabe an Andere. Spannenderweise heißt das evangelische Pendant zu unserer Caritas: Diakonie! Und das meint im Grunde dasselbe: aufopfernder, liebender Dienst für Andere, Hingabe eben. Und wenn wir uns fragen, wozu die Kirche da ist, dann sagen wir ja immer wieder: Ganz dafür! Neben dem Gottesdienst, neben der Verkündigung ist sie vor allem für die Caritas da, für die Diakonie, für Andere. Nur eine dienende Kirche dient zu etwas. Um diese Caritas geht es auch heute im Evangelium.

Jesus und seine Jünger sind auf dem Weg nach Jerusalem. Er erzählt den Jüngern, was dort geschehen wird. Nämlich das, wozu er überhaupt da ist: „Der Menschensohn wird in die Hände von Menschen ausgeliefert; sie werden ihn töten; und nach drei Tagen wird er auferstehen“. Dass er sich aus Liebe den Menschen ganz hingibt, bis in den Tod, und dass er damit eine ganz neue Lebensperspektive schaff, die sogar den Tod überwindet. Jesus erzählt ihnen somit das Wichtigste überhaupt; das, wozu er überhaupt Mensch geworden ist. Aber die Jünger verstanden nicht. Denn, was machen die? Die diskutieren darüber, wer unter ihnen der Größte ist. Das kommt uns doch bekannt vor, oder? Das passiert uns doch auch.

Wie oft sind wir damit beschäftigt, uns selbst gegenüber anderen einzuschätzen, zu vergleichen; wer größer ist, wer besser, wer reicher, wer schöner, wer schlauer ist? Vielleicht auch wer frommer ist, wer den richtigeren Glauben hat. Wie oft bewerten wir andere, schätzen sie geringer als uns selbst?

Nun kann man sagen: Na ja, die Menschen sind halt so! Draußen in der Welt geht es halt so zu. Da wird verglichen und abgewertet. Aber hier bei uns Christen, hier in der Kirche, da ist es anders. Ist das so? Wie oft werten wir hier drin andere ab, wie oft halten wir selbst uns für besser? Wieviel Leid haben wir Christen über die Welt gebracht, indem wir uns für besser, moralisch höherwertig, gehalten haben und andere abqualifiziert haben? Die Jünger zeigen uns: Karrierismus in der Kirche ist keine Erfindung des 21. Jahrhunderts.

Aber wer den Weg Jesu gehen will, wer Jesus nachfolgen will, muss anders denken von den Anderen; auch von sich selbst, muss weiter denken, muss umkehren. Hier im Evangelium macht Jesus das ganz deutlich; und zwar an einem – zumindest für damalige Ohren – ganz einfachen Beispiel: „Er stellte ein Kind in ihre Mitte.“ Die Menschen in der Antike hatten nicht die aufgeklärte, wertschätzende, fördernde Sicht auf Kinder, wie wir sie heute haben. Natürlich gab es auch zur Zeit Jesu Elternliebe für die Kinder. Aber in dieser Zeit hatten keinerlei gesellschaftliche Stellung, waren ganz unten angesiedelt. Er hätte auch einen Armen, einen Aussätzigen, einen Fremden in die Mitte stellen können. Dass er so jemand in die Mitte stellt, ja dass er sich selbst, dass er Gott mit diesem Kind vergleicht, ist für damalige Ohren im wahrsten Sinn des Wortes re-volutionär. Aber Jesus will diese Umkehr, will den Perspektivwechsel. Vergessen wir nicht: Gott ist Kind geworden – an Weihnachten! Er wird nicht Soldat, Heerführer, König, stark, mächtig, reich. Er wird ein verletzliches, auf Hilfe angewiesenes Kind. Und genau so ein Kind stellt Jesus auch in unsere Mitte. Er kehrt die Perspektive um. Nicht das Große, das Starke, das Reiche, das Kluge zählt, sondern das Schwache, das Verletzbare, das, was – überragen auf unsere Gesellschaft – am Rand steht, was hässlich ist und unbedeutend, was unten ist und verwundet.

Die macht Jesus groß. Den Kleinen dienen, den auf Hilfe Angewiesenen! Aber warum nun gerade ein Kind? Nicht nur weil Kinder wehrlos sind und ausgeliefert, sondern weil Kinder vertrauen. Ein Kind vertraut, dass es das, was es zum Leben braucht, ohne Gegenleistung geschenkt bekommt; und das zu Recht. Gerade die Kinder können uns das Allereinfachste und zugleich Allerschwerste lehren: nämlich so zu leben und so zu denken, dass Gott uns als die liebt, die wir wirklich sind. Dass wir uns nicht groß machen müssen und schön und reich.

Ja noch mehr: Jesus stellt ein Kind in die Mitte und macht deutlich, dass ER, dass GOTT uns begegnet in den Kleinen, den Schwachen, den Machtlosen, in denen, die sonst nicht ernst genommen werden und auf die sonst keiner hört. Jeder Dienst, den ich ihnen erweise, ist also Gottesdienst. Zum Diener aller werden, steht da. Theoretisch ist das ja alles sehr klar und einleuchtend. Nur praktisch tun wir uns halt immer wieder sehr schwer mit dem Kleinsein, dem Dienen, mit dem letzten Platz. Gerade auch hier in der Kirche, hier bei uns Christen. Aber genau dieser liebende Dienst, diese Caritas, ist das, was uns leiten muss, wenn wir ihm auf seinem Weg der Liebe nachfolgen wollen.

 

(Predigt zum 25. Sonntag im Jahreskreis B am 19.9.2021 in Maria Gnaden, Berlin-Hermsdorf)

Bild: https://www.bibleworld.de/NT/Markus/Mk_9_3.htm

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