Es gibt angenehmere, gefälligere, Perikopen als die heute. Da ist von unschuldigen Opfern die Rede und vom Baum, der ausgerissen werden soll und davon, dass alle sterben. Und von Umkehr ist die Rede. Nein, das ist alles nicht gefällig. Ist das wirklich eine frohe Botschaft?
Immer, wenn ich dieses Evangelium höre, stelle ich mir die Frage: Meint er das wirklich so? Wir sterben, wenn wir uns nicht bekehren, also wir sterben, weil wir uns nicht bekehren? Wie oft wurde genau das von den Kanzeln herab gepredigt? Dass Gott diejenigen bestrafen werde, die sich nicht bekehren oder
Buße tun, wie es in der Luther-Übersetzung heißt. Wie oft wurde dieses beängstigende Bild Gottes gepredigt? Wie viele Menschen wurden damit in tiefste Ängste gestürzt – bis hin zu massiven psychischen Schäden?
Aber Jesus macht keine Angst. Jesu ist Realist; natürlich weiß er: Wir alle werden sterben. Ausnahmslos!
Aber es kommt darauf an, in welchem Zustand, in welcher Hoffnung. Denn darum geht es hier: um Hoffnung; um Leben; um die Art, wie wir unser Leben führen; welches Ziel wir haben. Denn es ist eben nicht egal, wie wir unser Leben führen. Könnte man meinen, wenn man sowieso stirbt. Und viele denken ja so: Ist eh irgendwann alles aus, also kommt’s nicht darauf an, ob ich hier auf Kosten anderer lebe. Hauptsache, mir geht’s gut! „Me first“, könnte man in Anlehnung an Donald Trump sagen.
Dagegen setzt Jesus das Gleichnis vom Baum und den Früchten. Denn natürlich geht es Jesus darum, welche Früchte mein Leben bringt. Welche Früchte bringe ich? Welche Früchte bringen wir, als Menschen, als Christinnen und Christen, als Diakone, als Kirche. Bin ich nur für mich selbst da? Sind wir nur für uns selbst da? An dieser Frage entscheidet sich buchstäblich alles.
Fangen wir mal mit der Kirche an:
Letzten Sonntag wurde der synodale Prozess eröffnet, mit dem Papst Franziskus die ganze Kirche auf die Bischofssynode in 2 Jahren vorbereiten will. Zur Eröffnung sagte der Papst: Wir wollen keine andere Kirche; aber wir wollen eine Kirche, die anders ist; „diversa“, sagte er wörtlich, verschieden (vgl.: https://www.vatican.va/content/francesco/it/speeches/2021/october/documents/20211009-apertura-camminosinodale.html).
Keine andere Kirche! Aber eine Kirche, die anders, verschieden, ist, wie der Papst sagt: eine Kirche, die die Perspektive wechselt. Eine Kirche, die nicht für sich selbst da ist; eine Kirche, die gerade in Zeiten der Missbrauchsaufklärung auf eine sehr feinfühlige Weise versucht, den Menschen nahe zu sein; eine dienende Kirche.
Diese Kirche ist und bleibt die Kirche Jesu. Sie hat ihren Ursprung in ihm. Aber sie besteht nun mal aus sehr menschlichen Mitgliedern. Aus uns! Und wir können so sein oder anders; nur für uns selbst da sein oder für andere; exklusiv oder inklusiv; barmherzig oder unbarmherzig; zärtlich oder lieblos. Und je nachdem, ob wir so sind oder anders bringen wir Früchte oder nicht. Nicht Früchte für uns selbst. Früchte sollen WIR für andere bringen; jede und jeder von uns – ausnahmslos.
Letzten Sonntag haben wir ja im Evangelium wieder gehört, worum es geht: Ums Dienen! Ums Dasein für andere! „Denn der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen“ (Mk 10,45), hieß es da.
Und genau das heute im Evangelium auch das Wort „umkehren“, metá-noeín, wie da im Griechischen steht: größer, weiter denken; den Blick umwenden, die Perspektive wechseln; von sich selbst weg-sehen; den Anderen in den Blick nehmen; sich ihm und ihr zu-wenden und sie aufrichten. Und zwar nicht nur theoretisch und deklaratorisch, sondern ganz konkret; im Alltag; im ganz Kleinen: für andere da sein; ihnen dienen; liebevoll und barmherzig. So dass Liebe und Barmherzigkeit zum Letztkritierium werden für alles, schlechthin alles; auch für unseren alltäglichen Umgang miteinander; auch innerhalb der Kirche. Wenn wir so umkehren, dann bringen wir Früchte; und dann werden wir letztlich leben – und den Geist erfahren, von dem es heute im Römerbrief hieß, er werde „zu Leben und Frieden führen“ (Röm 8,6).
Wer schon einmal einen Baum gepflanzt hat, weiß, wie lange es dauert, bis der auch nur eine Frucht bringt. Ich hoffe, wir haben die Zeit, und wir geben uns die Zeit, und wir gebeneinander die Zeit, zu reifen und Früchte zu bringen.
Vor allem aber dass da jemand ist, der uns düngt; und immer wieder den Boden unserer Hartherzigkeit auflockert, und der Vertrauen in uns hat, ja der uns niemals aufgibt, darauf baue ich.
Nächsten Donnerstag feiern wir das Fest des Patrons dieser Kirche. Da heißt es im Tagesgebet: „Festige in uns das Vertrauen auf Deine Hilfe!“. Ja, der Herr festige in uns das Vertrauen auf seine Hilfe; darauf, dass er so ist, wie der Weingärtner, aber genauso stärke er uns darin,
- als ganze Kirche,
- als Diakone,
- als Christinnen und Christen,
unseren Blick zu wenden, weiter zu denken, für Andere da zu sein und Boten seiner Liebe zu werden und so Früchte zu bringen.
(Predigt anlässlich des Herbsttreffens der Ständigen Diakone des Erzbistums Berlin am 23.10.2021 in St. Judas Thaddäus, Berlin-Tempelhof)
Bild: Creative Commons vgl. https://commons.m.wikimedia.org/wiki/File:Teachings_of_Jesus_36_of_40._parable_of_the_fig_tree._Jan_Luyken_etching._Bowyer_Bible.gif#mw-jump-to-license