Viele sind noch in Urlaubsstimmung, haben Sommer und Sonne genossen, sind gelöst und freuen sich ihres Lebens, und dann hören sie heute dieses Evangelium und die Lesungen dieses Sonntags. Was für ein Kontrast!
Da kommt es heute wirklich hart auf hart. Denn viele Menschen werden diese Texte doch als zutiefst beängstigend empfinden. Allein die zweite Lesung mit ihrem Lob der körperlichen Züchtigung. Das entstammt einem Leben des antiken Orients, das für uns heute in keiner Weise Maßstab sein kann. Und wie viel Missbrauch und Leid wurde in der Kirche gerade mit solchen Sätzen legitimiert? Aber auch die Erzählung im heutigen Evangelium: Da ist vom Ausgeschlossen sein die Rede und der ewigen Verdammnis, und der Klage Jesu, dass alle unrecht tun.
Auch bei diesen Texten gilt wie in der ganzen Bibel: Nehmen wir sie wörtlich, oder nehmen wir sie ernst? Denn wenn wir sie wörtlich nehmen, und wie oft war das so geschehen, dann wird uns hier wahrlich die Hölle heiß gemacht.
Ich finde aber, wir müssen das, was Jesus uns sagt, ernst nehmen: Da ist dieser anonyme Mann, der Angst um sein Seelenheil hat, und dem wird gesagt: Sieh zu, dass dein Leben gelingt! Nichts anderes meint ja die enge Tür, von der hier die Rede ist. Sieh zu, dass du sagen kannst: Ich lebe mein Leben so, dass ich am Ende nicht draußen vor der Tür stehe.
Wenn ich das höre, erinnert es mich immer an die Kapuzinergruft in Wien, wo Österreichs Potentaten beigesetzt wurden und vor der Tür mit ihren vollen Titeln angekündigt wurden, und die Franziskaner drinnen hinter der verschlossenen Tür riefen: „Wir kennen ihn nicht.“
Wie viele haben dieses Gefühl, draußen vor der Tür zu stehen, und schon gar am Ende ihres Lebens? Eine meiner Aufgaben als Diakon ist die Kranken- und Sterbebegleitung. Da spüre ich es immer wieder: Wie viele Menschen leiden gerade am Ende ihres Lebens unter so großen Ängsten? Gerade, wenn sie gläubig sind. Wie oft sagen sie sich und haben es ja auch in der Kirche immer wieder gehört, so wie heute im Evangelium: Du hast so viel Unrecht getan. Und sie schließen daraus: Es kann ja gar nicht anders sein, als dass ich draußen vor der Tür bleiben werde, dass mein Leben eben nicht gelungen ist.
Aber auch Menschen, die sich selbst als erklärt atheistisch verstehen und die am Ende ihres Lebens von so vielen Ängsten geplagt sind und nicht loslassen können und sich klammern an ihr leben, hier und jetzt, und so sehr leiden.
Ja, Jesus will, dass unser Leben gelingt, er will, dass wir Hoffnung haben. Aber er ist Realist, und auch wir brauchen einen realistischen Blick auf uns selbst. Und ja, wir können nicht anders, wir stehen immer wieder vor der Frage: Wie wollen wir leben – wie sterben?
Lebe ich nur für mich selbst? Und der Sorge im mich? Dass es allein mir gut geht?
Der große Psychotherapeut Viktor Frankl hat uns gelehrt: Es gibt drei Momente im Leben, wo wir Menschen merken, dass das hier und jetzt, die Sorge allein um mich, der Egoismus nicht genügen, dass es damit allein nicht klappt: Das sind Krankheit, Schuld und Tod. Da wird jedem klar: Wenn ich krank bin, wenn ich an jemand schuldig werde oder wenn mein Leben endet, dann bin auch angewiesen auf jemand, der mir hilft, dann suche ich nach etwas, der mehr ist als ich: nach Heilung, nach Vergebung, nach Leben. Und ich suche nach Hoffnung.
Wir Christen haben diese Hoffnung, und nichts ist schlimmer, als wenn Christsein uns die Angst nicht nimmt, sondern wir noch tiefer in Angst geführt werden. Christsein sollte uns die Angst nehmen. Wir müssen nur unseren Egoismus überwinden.
Denn Jesus fordert ja nur eins von uns: Dass wir ein Leben der konkreten Liebe führen. Mehr nicht. Das ist ein gelingendes Leben. Ein Leben der konkreten Liebe. Dass wir im Füreinander leben. Und auch, wenn wir das nicht immer durchhalten, wenn wir Fehler machen, wenn wir scheitern: Dieses Leben der konkreten Liebe ist ein gelingendes Leben. Dann werden wir auch nicht draußen vor der Tür bleiben. Denn die Tür kann nicht zufallen. Wir haben ja einen, der seinen Fuß in der Tür hat: Den, der genau so die Liebe gelebt hat: Jesus.
In seinem cherubinischen Wandersmann schreibt der Barockdichter Angelus Silesius:
„Mensch, werde wesentlich!
Denn wenn die Welt vergeht,
so fällt der Zufall weg:
das Wesen, das besteht!“
Denn worin besteht denn das Wesen des Christseins, das Wesen der Nachfolge Jesu? Doch in nichts anderem als Liebe.
(Predigt am 21. Sonntag im Jahreskreis C, 21.8.2022, in Maria Gnaden, Berlin-Hermsdorf, und St. Nikolaus, Berlin-Wittenau)
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