Die Quelle für mein Leben

Evangelium

Ein langes Evangelium heute. Abgesehen von den Passionen an Palmsonntag und Karfreitag, das längste Evangelium im ganzen Kirchenjahr, und eines der wichtigsten! Ich habe deshalb auch nicht die Kurzfassung genommen. Die wäre auch nicht viel kürzer gewesen, und da hätte vor allem die Stelle gefehlt, wo die Frau Jesus antwortet, sie habe keinen Mann, und Jesus ihr das bestätigt; was er eigentlich nicht wissen könnte. Man hat die Stelle oft als Beleg dafür genommen, die Frau sei eine Ehebrecherin. Ich weiß nicht, ob man das wirklich aus dem Text lesen kann.

Was aber klar ist: Sie lebt mit einem Mann zusammen, ohne ordnungsgemäß mit ihm verheiratet zu sein. Und das alles weiß Jesus. So wie er anscheinend alles weiß. Aber dazu gleich noch etwas mehr.

Zunächst: Wir alle wissen, was ein Brunnen ist, z. B. im Gegensatz zu einer Zisterne. Eine Zisterne ist ein unterirdischer Wasserbehälter, geschlossen, in dem man Oberflächenwasser sammeln kann, z.B. Regenwasser. Hier geht es nicht um eine Zisterne;  geht es explizit um einen Brunnen. Ein Brunnen hat einen Zugang zum Grundwasser, also zur Quelle, zu frischem, „lebendigem“ Wasser. Das griech. Wort für Brunnen, das hier steht, ist auch dasselbe wie für Quelle. Die Frau kommt also, um Wasser zu holen, an diesen Brunnen. Und Jesus bittet sie, ihm Wasser zu geben; und da sie nicht so recht weiß, was das alles soll, sagt Jesus zu ihr: Wenn sie wüsste, wer er ist, würde sie ihn um Wasser bitten, um lebendiges Wasser.

Nun könnte man denken: Genau solches Wasser bekommt sie doch in diesem Brunnen. Schon allein deswegen muss bereits jedem antiken Hörer (und jeder Hörerin) sofort aufgegangen sein (was uns heute klar ist): Hier geht es nicht nur ums biologische, ums chemische Wasser: H2O.

„Wasser“ meint hier mehr. Das Wasser aus dem Brunnen löscht den Durst. Natürlich. Wir brauchen es zum Leben.  Die Griechen zur Zeit Jesu hatten zwei Wörter für Leben: biós. Das meint das biologische Leben, also das, was wir mit dem Wasser aus dem Brunnen erhalten. Und dann kannten die Griechen noch das Wort zoé. Das meint auch Leben, aber mehr das, was wir mit „Fülle des Lebens“, gelingendes Leben, Sinn des Lebens, ewiges Leben übersetzen.

Und Jesus sagt der Frau: Das Wasser, das er schenkt, bringt genau dieses Leben. Und die Frau erkennt das. „Gib mir dieses Wasser!“, sagt sie.  Denn diese samaritische Frau ist auf der Suche – so, wie jeder Mensch: auf der Suche nach Sinn, nach sinnvollem Leben. Sie will mehr als nur den biologischen „Durst“ löschen. Und sie weiß, dass die Juden den Messias, den Christus, er­warten.

Und jetzt, durch das Wort Jesu, gehen ihr die Augen auf. Nur dadurch, dass Jesus sie ansieht und anspricht. Nur dadurch, dass Jesus sie anspricht; sie ansieht; sich ihr zuwendet. Und Jesus bestätigt ihr: Ja, ich bin es. Er ist die Quelle für ein Leben, das mehr ist als biologisches Leben; für ein sinnvolles Leben, für die Fülle des Lebens; das ewige Leben.

Diese Frau ist eine Samariterin. Eigentlich hätte Jesus als Jude um sie einen großen Bogen machen müssen. Und sie ist eine Frau, die unverheiratet mit einem Mann zusammenlebt, nachdem sie schon fünf Manner hatte. Auch da hätte Jesus eigentlich einen Bogen um sie machen müssen. Und überhaupt ist sie eine Frau. Also hätte Jesus, ohne dass sie in Begleitung eines Mannes ist, schon gar einen Bogen um sie machen müssen. Aber all das schert Jesus offenbar nicht. Gerade ihr wendet er sich zu; sie sieht er an; sie bittet er um Wasser: Für damalige Ohren ein Unding.

Er sieht diese Frau an, und er blickt auch uns an. Und nichts (außer vielleicht dem Wasser) brauchen wir Menschen so sehr, wie angesehen zu werden; überhaupt gesehen; wahrgenommen zu werden. Deshalb ist uns unser Ansehen so wichtig; wie andere uns sehen und ob sie uns überhaupt sehen.

Unsere ganze Kultur der sozialen Medien heute basiert ja nur letztlich auf unserer Sehnsucht, wahrgenommen zu werden. Dass es jemand gibt, der uns ansieht. Bedauerlicherweise ist dieses Wahrgenommen-Werden so ein bisschen wie das Wasser aus dem Brunnen. Es lässt einen schnell wieder durstig werden.

Jesus nimmt uns wahr. So wie wir sind. Ohne dass wir uns verstellen müssen. Ohne dass wir aus der Angst um uns selbst Leben müssen. Ohne dass wir gierig nach mehr müssen. Ohne jede Vorbedingung. Er ist die Antwort auf unsere Sehnsucht, auf unsere Lebensfragen: Wofür lohnt es sich zu leben? Was gibt uns halt? Was bewahrt uns davor, den Mut zu verlieren? Er ist es. Der wahre Retter. Die Quelle des Lebens.

(Predigt in der Wort-Gottes-Feier am 3. Fastensonntag, 11.3.2023, in St. Hildegard, Berlin-Frohnau)

Bild: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1a/Angelika_Kauffmann_-Christus_und_die_Samariterin_am_Brunnen-1796.jpeg

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