„Was sucht ihr?“

Evangelium

Im Evangelium dieses  Sonntags hören wir einige der wichtigsten Sätze überhaupt, wenn wir wissen wollen, was Christsein heißt. Jesus „beruft“ seine ersten Jünger und fragt sie: „Was sucht ihr?“. In der Einheitsübersetzung von 1980 hieß diese Frage noch: „Was wollt ihr?“, und im griechischen Ausgangstext heißt der Satz auch: „Wonach fragt ihr?“. Es sind die ersten Worte, die Jesus im Johannesevangelium ausspricht, und er stellt diese Frage eben jenen, die ihm folgen wollen. Wir müssen sie wohl verstehen im Sinne von: Worum geht es dir im Leben? Was ersehnst du? Entscheidende Fragen, die Jesus da stellt. Die beiden Jünger, die er so anspricht, hatten sich zunächst Johannes d. T. angeschlossen, und sie suchten in ihrem Leben mehr, oder wenigstens noch anderes als sie vorfanden.

Geht es uns auch so? Was, wenn Jesus auch uns fragen würde: „Was suchst du?“ Was würden wir antworten? Die Jünger scheinen ein bisschen verlegen und antworten scheinbar Belangloses: „Rabbi, wo wohnst du?“ Und Jesus antwortet wiederum: „Kommt und seht!“ Kommt mit mir! Folgt mir, und ihr werdet schon sehen!

Kann es sein, dass das auch für uns gilt? Würden wir folgen? Ich glaube: Es gilt für unser aller Leben. Wir alle stehen doch immer wieder vor der Frage: Was wollen wir eigentlich in unserem Leben? Wohin soll es führen? Was ersehnen wir wirklich?
Ein Haus, ein schnelles Auto, Geld, Luxus, Macht, Erfolg, Durchsetzung des eigenen Willens. Ist es das? Oder Gesundheit, Ansehen, Beliebtsein bei denen, die um uns herum sind? Ist es das?

Wie oft spüren wir Menschen, und ich glaube, das gilt für alle Menschen, dass darin allein noch nicht wirkliche Befriedung liegt, wirkliches Glück, wirkliches Leben, die Fülle des Lebens, sondern, dass wir mehr wollen, nicht einmal nur mehr an diesen äußeren Gütern (das natürlich auch oft), aber auch mehr, um unsere tiefste Sehnsucht zu stillen. Vielleicht können wir es gar nicht genau benennen, was dieses Mehr ist, das in unserer Sehnsucht steckt. Wir Menschen streben immer nach Mehr. (Nebenbei basiert unsere gesamte Wirtschaftsordnung genau darauf.) Aber auch die beiden Jünger taten das, denn sie spürten wohl: Johannes allein, der ist es nicht. Und auch Johannes weiß das, und was macht er? Er zeigt auf Jesus und sagt: „Seht, das Lamm Gottes?

Erst dadurch werden die Jünger aufmerksam, dass dieses Lamm Gottes, dass er es sein könnte, der meine tiefste Sehnsucht stillt. Er könnte dieses MEHR sein, wonach wir Menschen alle suchen. Eigentlich müsste Jesus sie fragen: Wen sucht ihr Aber er fragt sie: Was sucht ihr? Was wollt ihr vom Leben, weil er wohl ihnen (und uns) diese Sehnsucht erst eigens bewusst machen möchte.

Ähnlich wie er die Kranken und Aussätzigen fragt: Was willst du, das ich dir tun soll? In drei der vier Evangelien finden wir diese Jüngerberufungen, und immer laufen sie so ab. Jesus sagt: Folgt mir, und ihr werdet sehen!

Früher hat man diese Jüngerberufungen vor allem so verstanden, dass es dabei um Berufungen zu einem geistlichen Amt geht. Und auch heute wird das noch oft so interpretiert. Da ist bestimmt etwas dran, dafür gilt die Frage sicher auch. Aber ich glaube, hier geht es um mehr. Hier geht es um uns alle, um alle Menschen; Jesus sagt zu uns allen: Folgt mir, und ihr werdet sehen, wir euer Leben wird!

Es geht darum, sich auf das Abenteuer des Lebens mit ihm einzulassen. Es geht um jede und jeden einzelnen. Denn wir müssen schon immer jeweils selbst dieses Abenteuer unseres Lebens mit Jesus finden; ich muss mich selbst auf dieses Abenteuer einlassen, um zu sehen, was aus meinem Leben wird. Das meint Berufung. Interessant ist nun die Antwort der beiden Jünger. Die ist nämlich gar nicht so banal, wie es aussieht. Die sagen ja nicht: Wir wollen von jetzt an deine Jünger sein. Stattdessen antworten sie mit der Gegenfrage: „Rabbi, wo wohnst du?“ Wo ist deine Heimat, und wie fühlt es sich an, bei dir zu sein? Das ist eine Frage, die auf den inneren, ja intimen Bereich abzielt. Denn die Wohnung eines Menschen, ihre Einrichtung und die ganze Atmosphäre, die sie ausstrahlt, offenbaren mehr als ein Mensch mit Worten von sich sagen könnte. Von Anfang an ist also Tieferes gemeint. Jesus wird später (in den sogenannten Abschiedsreden) sein Wohnen in Gott beschreiben; seine Heimat ist beim Vater. In ihm weiß er sich vollkommen geborgen. Jetzt antwortet Jesus nur: „Kommt, und ihr werden sehen!„, Er lädt uns einfach ein, bei ihm zu sein und uns umzusehen. Er kommt nicht mit harschen Forderungen, sondern er macht den Ort seines Wohnens, den Raum seiner (und unserer) Heimat ganz einfach im Leben zugänglich.

Denn Heimat finden auch wir dort, wo Jesus beheimatet ist – genau darum geht es im Glauben an ihn als den Christus. Denn wo Jesus vor seinem Leiden und seiner Auferstehung stets von „meinem Gott“ und „meinem Vater“ spricht, da lauten die Worte des Auferstandenen: „Ich gehe hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.“ Durch ihn werden auch wir in seine Gottverbundenheit hineingenommen, die nichts anderes ist als die Liebe zwischen Vater und Sohn, und die ist der Heilige Geist. Denn in ihm finden wir (wie die Jünger) unser Beheimatet-Sein in Gott auch selbst. Aus Heiligem Geist zu leben, heißt nichts anderes als Leben aus diesem innersten Zentrum heraus.

Sich dort zu verankern und von dorther zu leben, heißt, Gott die Wesensmitte sein lassen, eben das Mehr, das unsere Sehnsucht stillt und uns aus der Macht der Angst um uns selbst befreit. „Kommt, und ihr werdet sehen!

Ich habe ein Gedicht gefunden, das das viel schöner ausdrückt, als ich es kann:

Sehnsucht
von Petra Focke

Ich habe Sehnsucht danach
ganz Mensch zu sein,
zu erfahren,
wer ich bin,
und die zu werden,
die ich sein soll nach seinem Plan.

Gottes Willen zu erkennen
und nach seinem Willen zu leben.

Ich habe Sehnsucht
nach einer Liebe
und nach einem Seelengefährten,
nach Geborgenheit,
Verbundenheit und Einheit.

Ich habe Sehnsucht,
mich selbst zu erkennen
und die Gnade zu erfahren,
Gott zu erkennen.

Ich habe Sehnsucht
nach innerer Stille
und dem Gefühl des Ausgeglichen-Seins,
um mich Gott öffnen zu können
und mich berühren zu lassen.

Voller Sehnsucht darf ich beten.
Ich möchte bereit sein,
Gott, von dir berührt
und verwandelt zu werden.

(zitiert nach: Messbuch 2024, hgg. v. Irmtrud Schweigert. Kevelaer, Butzon und Bercker, 2023, S 141.)

(Predigt in der Wort-Gottes-Feier zum 2. Sonntag im Jahreskreis B, 13.1.2024, in St. Hildegard, Berlin-Frohnau)

Zum Ganzen vgl. auch: Anke Lechtenberg: Die Sonntagsevangelien im Lesejahr B. Auslegungen für Predigt und Meditation. Regensburg, Pustet, 2023. S. 107 f..

Bild: privat

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