Lieben und Prassen

DIE SALBUNG JESU IN BETANIEN
Jesus war in Betanien Gast bei Simon, dem Aussätzigen. Während der Mahlzeit kam eine Frau, In ihren Händen hatte sie ein Gefäß mit kostbarem Öl. Sie zerbrach es und salbte mit dem Öl den Kopf Jesu.
Darüber regten sich einige Gäste auf: „Was soll diese Verschwendung?“, fragten sie verärgert. „Dieses Öl ist mindestens dreihundert Denare, (etwa ein Jahresgehalt) wert. Das Geld hätte man lieber den Armen geben sollen!“ So machten sie der Frau heftige Vorwürfe. Aber Jesus nahm sie in Schutz. „Lasst sie in Ruhe!“, sagte er. „Warum kränkt ihr sie? Was sie für mich getan hat, war gut und richtig. Arme, die eure Hilfe nötig haben, wird es immer geben. Ihnen könnt ihr jederzeit helfen. Ich dagegen bin nicht mehr lange bei euch. Diese Frau hat das Schönste getan, was sie tun konnte. Mit ihrem Salböl hat sie meinen Körper für mein Begräbnis vorbereitet. Und ich versichere euch: Überall in der Welt, wo Gottes gute Nachricht verkündet wird, wird man auch von dieser Frau sprechen und von dem, was sie mir Gutes getan hat!“
(Mk 14, 3-9, vgl. Albert Kammermayer: Das neue Testament in der Sprache unserer Zeit. Linz, 2023, S. 83.)

Wenn man das Wort „prassen“ im Wörterbuch nachschlägt, egal ob es nun ein ganz aktuelles ist od. ein altes, wie das der Brüder Grimm, dann sieht man schnell, dass „prassen“ immer und ausschließlich als etwas Negatives verstanden wird: Prassen ist etwas Schlechtes. Im Übermaß zu essen u. zu trinken, viel zu viel Geld auszugeben; überhaupt jede Art von Übertreibung, Verschwendung, das ist „prassen“.

Heute ist das Wort aus der Mode gekommen. Die Wenigsten werden es zu ihrem aktiven Wortschatz zählen: „Prassen“ hat etwas Altmodisches. Nicht nur als Wort, auch sein Sinn. Denn er legt Sparsamkeit nahe, nicht nur Genügsamkeit, sondern Vorsicht bei jeder Art Ausgabe, Einschränkung, Selbstbeschränkung.

Hier in der Erzählung von der Salbung in Bethanien, die wir gerade aus dem Markus-Evangelium gehört haben, geht es ums „Prassen“. Diese Erzählung kommt in allen vier Evangelien vor, immer wenige Tage vor Jesu Leiden und Tod, und, wie er selbst sagt, ist das, was hier geschieht, ein Vorausblick auf seinen Tod.

Da kommt also diese unbekannte Frau und salbt Jesus, hier bei Mk und auch bei Mt seinen Kopf, bei Lk u. Joh seine Füße. Und die Männer um Jesus herum, die regen sich auf über diese Verschwendung, über das Verprassen dieses kostbaren Öls, und fahren die Frau an. Denn sie finden, mit dem vielen Geld, das das Öl kostet, hätte man besser den Armen geholfen, immerhin der Jahreslohn eines Arbeiters.

Wie kann Jesus das zulassen? In allen vier Evangelien wird diese Frage gestellt. Das zeigt ihre Bedeutung. Wie kann Jesus das Verprassen zulassen?

Was Jesus darauf antwortet, haben eben gehört: Lasst diese Frau in Ruhe! Sie hat das Schönste getan, was sie tun konnte, sie hat mich bereits im Voraus für mein Begräbnis gesalbt. Denn Jesus weiß, was mit ihm geschieht. Natürlich! Er weiß, dass sein Weg der Hingabe, der Ganzhingabe; der Liebe; sein Leben für die Anderen; ganz für Andere da zu sein, ins Leiden führt und in den Tod. Und er weiß: die Armen, die Notleidenden, egal wie sie aussehen, die wird es immer geben, und natürlich müssen seine Jünger, muss jemand, der Jesus folgen will, gerade für die Notleidenden sorgen. Das sagt er ja den Jüngern.

Aber diese Frau tut das Schönste, was sie tun kann: Sie liebt, und zwar ohne Vorbehalt, ohne Einschränkung, ohne Berechnung. Sie verschwendet ihre Liebe. Immer sind es die Frauen im Evangelium, die genau das tun: ohne Berechnung lieben; immer die Frauen, nicht die Männer. Die haben ihre Pläne und Regeln und Vorbehalte. Jesus zeigt uns, und zwar in einer patriarchalen Gesellschaft, was wir gerade von diesen Frauen lernen können: Die Liebe hat keine Vorbehalte, die Liebe verschwendet sich.

Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ (1. Kor 16,14) So heißt die Jahreslosung und das Motto unserer Passions­andachten in diesem Jahr. „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.

Ich glaube, mehr will Gott nicht von uns; und Jesus hat mit allem, was er tat, genau das gezeigt; und wir in den Kirchen mit unseren vielen Moral- und Rechtsvorschriften, wir täten gut daran, uns genau darauf zu beschränken, allein darauf: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.

Doch wie oft handeln wir genau anders, so wie die Männer hier, berechnend, kalkulierend, mit Vorbehalt, indem wie uns fragen, was es bringt zu lieben, ob Kosten und Nutzen in sinnvollem Verhältnis stehen. Das tun wir sogar bis in unsere engsten Beziehungen. Das tut die Frau hier nicht. Sie verschwendet Liebe ohne auf die Folgen zu achten. So wie Jesus selbst, so wie Gott, Liebe verschwendet an uns! Über die Maßen mit Liebe prasst in seiner Schöpfung.

Die menschliche Perspektive der Kosten-Nutzen-Abwägung hat hier in dieser Welt natürlich ihre Berechtigung. Sie ist vielen Dingen gegenüber notwendig. Das bestreitet auch Jesus hier nicht.

Aber Gottes Perspektive ist die andere. Die geht weiter. „Die Liebe hört niemals auf“, sagt Paulus. Unsere Liebe endet, meistens recht schnell. Sie scheitert oft schnell an unseren Kalkülen. Gott ist anders. Jesus ist anders. Und wir sollten anders sein. „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ Nochmal: Hier geht es nicht darum, dass ich ausnahmslos alle Menschen lieben muss. Das geht gar nicht. Hier geht es um Gottes Perspektive auf die Welt, und dass wir diese Perspektive einnehmen. Hier geht es darum, was die Basis unseres Lebens ist, was dieses Leben hier auf dieser Erde überhaupt erst möglich macht; um den Grund, die unser aller Leben trägt.

Gott verschwendet seine Liebe an uns. Nur dazu ist er überhaupt Mensch geworden – in Jesus: um seine Liebe an uns zu verschwenden. Genauso wie die Frau hier das Salböl verschwendet. „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ Wenn ich Christus glaube, dann ist diese Liebe, diese verschwenderische Barmherzigkeit, der Grund, die Basis, meines Lebens. Und dann muss sie eben auch die Basis meines Handelns sein.

Und dann gibt es – ich sage es oft – auch nur EINE wirkliche Sünde, die Gott vollständig widerspricht, nämlich Lieblosigkeit.

Und das hat sehr konkrete Folgen für mein Leben: Wie kann ich dann lieblos auf andere herabschauen; mich für besser halten, für klüger, für anständiger? Wie kann ich dann denken, ich stehe höher als meine Mitmenschen, anstatt deren Schönheit, deren Anmut, deren Größe zu schätzen? Oder behaupten, die anderen folgten Christus aber weniger als ich? Wie kann ich mich erdreisten, auf andere herabzusehen? Das gilt gerade für die Kirche und ihre Mitarbeiter.

Wenn wir Jesus folgen wollen, muss die Grundlage unseres Handelns immer die Liebe sein, und ich weiß, wie schwer das ist. Aber auch, wenn es noch so schwer ist u. wenn ich immer wieder damit scheitere: Es ist der einzige Weg, um frei zu werden, befreit aus der Macht der Angst um mich selbst. Diesen Weg zeigt uns Jesus. Er führt ihn ins Leiden, in den Tod, aber eben letztlich auch zur Auferstehung zum Leben.

An Ostern feiern wir den Sieg des Lebens. Dass unser Leben nicht ins Nichts fällt. Niemandes Leben endet im Nichts. Wir feiern, dass Gottes Liebe das letzte Wort hat, über uns. Auch wenn unser Leben hier noch so leidvoll sein mag. Die verschwenderische Liebe Gottes trägt, befreit, unser Leben über alles Leid und über den Tod hinaus. Und wenn es Menschen gibt, meist wohl auch heute noch vor allem Frauen, die diese Liebe verströmen, dann stellt sich nicht die Frage, ob das vernünftig ist; ob hier geprasst wird. Da antwortet Jesus nur: Sie tut das Schönste, was sie tun kann. Und wo immer man das Evangelium verkündet, wird man diese Frau und ihre verströmende Liebe zum Vorbild haben.

(Predigt in der Ökumenischen Passionsandacht am 6. März 2024 in Maria Gnaden, Berlin-Hermsdorf)

Bild: privat.

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