Der Liebe glauben!

Evangelium

In dieser Woche haben wir die Hälfte der Fastenzeit überschrit­ten. In dieser Woche war auch der 750. Todestag von Thomas v. Aquin und der 120. Geburtstag von Karl Rahner, zwei den bedeutendsten Theologen ihrer jeweiligen Zeit: Thomas im Hochmittalter, Rahner im 20. Jahrhundert. Beide haben versucht, das Gottesverständnis und den Glauben an ihn in ihrer jeweiligen Zeit auf den Punkt zu bringen.

Zu beiden habe ich eine ganz eigene Beziehung: Von Thomas war das Erste, was ich überhaupt an theologischen Schriften gelesen habe, noch als Schüler, durch meinen damaligen Pfarrer angeregt. Rahner konnte ich kurz vor seinem Tod noch persönlich kennenlernen, während meines Studiums; ich weiß sogar das Datum noch: am 12. Februar 1984. Für mich eine der entscheidenden Begegnungen im Leben.

Beide gelten als schwer verständlich, in einer abstrakten theologischen Fachsprache. Ich fand das gar nicht. Von beiden gibt es ganz einfache, klare Texte, die uns auch heute noch helfen können, das Wort Gottes besser zu verstehen. Rahner meinte, der eigentliche, der tiefere Sinn der Fastenzeit liegt gar nicht im Verzicht. Der Verzicht in der Fastenzeit ist nur ein Hilfsmittel, um besser zu verstehen, was uns wirklich fehlt. Rahner war der Auffassung, dass uns heute, gerade heute, Gott fehlt, dass Gott uns so ferne zu sein scheint, dass er mit unseren persönlichen Leben gar nichts zu tun hat.

Diese Gottesferne meint nicht, dass einer Gottes Dasein leugnet oder ihn gleichgültig übersieht. Gottesferne ist etwas, das gerade Glaubende in ihrem Leben erfahren, dass er stumm ist, dass er schweigt, nur wie ein leerer, ferner Horizont ist, wie die unzugängliche Unendlichkeit. Aber dass er eben in meinem konkreten Leben und Leiden so wenig vorkommt.

In der aktuellen Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung antwortet inzwischen eine Mehrheit, dass sie zwar an Gott glaubt, aber ein persönlicher Gott in ihrem Leben hier und jetzt nicht vorkommt. Dass er eine theoretische Idee bleibt, der man sich philosophisch nähern kann, oder es bleiben lässt, aber dass das eben gar keine Auswirkungen auf mein konkretes Leben und Handeln habe.

Im Johannes-Evangelium haben wir an diesem Sonntag das Nikodemus-Gespräch gehört, zumindest einen Teil daraus. Nikodemus ist ein frommer Pharisäer, also einer, der überzeugt ist, in rechter Weise an Gott zu glauben. Und doch wendet er sich an Jesus; des Nachts, damit es nicht bemerkt wird. Denn er muss ja wissen, dass die Pharisäer Jesus ablehnen, als Scharlatan, als anmaßend, ja als Ketzer. Aber wie er selbst sagt: Er glaubt, dass Jesus von Gott gekommen ist – angesichts der Zeichen und Wunder, die er tut. Er sucht den Kontakt zu Jesus, will ihn selbst hören. Und Jesus sagt ihm nun: Wenn man nicht im Geist geboren wird, also Gott im eigenen Geist als Wahrheit erkennt, kann man nicht gerettet werden; ins Reich Gottes eintreten.

Nikodemus versteht das erstmal falsch, nämlich ganz leiblich, wie eine leibliche Wiedergeburt. Tun viele Christen ja auch! Aber Jesus sagt: Darum geht es gar nicht. Es geht hier darum, dass Gott die Welt so sehr liebt, dass er seinen eigenen Sohn Mensch werden lässt, damit die Menschen in rechter Weise glauben können, und so gerettet werden. Und dass das nichts Theoretisches ist, sondern dass das nur passiert, wenn wir es in unserem jeweiligen eigenen Leben als wahr, als echt, als unverborgen, ganz konkret spüren.

Denn gerettet sein, erlöst sein heißt: geliebt sein. Sich geliebt zu wissen; zu wissen, dass wir geliebt sind, und gerichtet sein heißt dann: sich nicht geliebt zu wissen. Und zwar nicht von einer unvollkommenen menschlichen Liebe geliebt. Unsere Liebe endet schnell, an unseren Vorbehalten, unseren Kalkülen, unseren Zweifeln. Wenn ich Gott glaube und seinem Wort, Jesus, glaube, der genau deshalb in die Welt gekommen ist, damit jede und jeder es konkret im eigenen Leben spüren kann, wie sehr Gott die Welt liebt, wenn ich ihm glaube: dann kann ich wissen, dass ich geliebt bin. Nicht durch meine eigene Leistung, durch meine Werke, sondern vor aller Leistung durch Gottes Liebe, Zuwendung Gnade, durch sein Geschenk an mich. Wenn ich daran glaube, bin ich schon gerettet, schon hier und jetzt.

Papst Benedikt XVI. hat einmal gesagt: Man kann das Christsein ganz einfach zusammenfassen in: „Wir haben der Liebe geglaubt“ (Deus Caritas est, 1). Darum geht es hier im Nikodemus-Gespräch: Der Liebe glauben! Sie annehmen. Eigentlich ganz einfach! Und doch so schwer. Denn diese Liebe, dieses Licht, das in die Welt gekommen ist, eben um uns zu retten, diese Liebe anzunehmen, gehört für viele von uns zum Schwersten überhaupt.

Jesus sagt: Weil unsere Finsternis so stark ist, weil wir Menschen so oft scheitern und wissen, wie schlecht wir sind, Und deshalb irrigerweise glauben, so jemand wie ich kann doch nicht geliebt sein. Und deshalb das Böse zu verdecken suchen!

Oder umgekehrt: Weil wir uns so viel einbilden auf uns und unsere guten Werke, unsere Rechtgläubigkeit, unser Anständig-Sein, und meinen, wir brauchen Gottes Gnade gar nicht, Gottes Geschenk, seine Liebe konkret für uns selbst. Dass wir das schon alles allein schaffen. Beides ist ein Irrtum.

Es wird hier nicht erzählt, was für Konsequenzen Nikodemus aus dem Gespräch mit Jesus zog. Aber später, nach der Kreuzabnahme, ist wieder von ihm die Rede, dass er das Salböl für Jesus bringt, um seinen Leichnam zu balsamieren. Es scheint also, dass Nikodemus weiterhin eine ganz enge, geistliche, Beziehung zu Jesus spürte.

Die Fastenzeit, die konkrete in jedem Jahr, wie die unseres ganzen Lebens kann uns lehren, wie wir selbst wieder in diese lebendige Beziehung zu Gott kommen. Wie sehr Gott diese Beziehung zu jeder und jedem von uns sucht und uns seine Liebe spüren lassen will. Wir müssen sie nur annehmen.

(Predigt zum 4. Fastensonntag B am 9.3.2024 in St. Hildegard, Berlin-Frohnau)

Bild: privat

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