Die Jünger können es einfach nicht glauben, bis sie ihn essen und trinken sehen, bis sie ihn anfassen können. Dieselben Jünger, denen er sich schon in Emmaus gezeigt hat und denen er da schon die Schrift erklärt hat, genau die haben wieder Zweifel, ob er es wirklich ist.
Passt eigentlich genau in unsere Zeit: Auch wir wollen alles ganz genau wissen, wollen be-greifen, im wahrsten Sinn des Wortes, wollen Beweise und nicht nur aufs bloße Hörensagen hin vertrauen.
Darum geht es im Evangelium des heutigen Sonntags.
Christus isst und trinkt mit ihnen, damit sie glauben können; das Gleiche wie letzten Sonntag beim Apostel Thomas: Der konnte seine Zweifel erst überwinden, als er Christus sehen und anfassen konnte. Wir Menschen wollen begreifen. Wir wollen die Wahrheit wissen. Ohne Wahrheit können wir nicht leben.
Aber wir können auch nicht ohne Vertrauen leben. Wir brauchen dieses Grundvertrauen; denn in den allermeisten Momenten unseres Lebens wissen wir die Dinge gar nicht hundertprozentig, sondern vertrauen einfach, dass sie schon so sind, wie sie uns erscheinen. Nur mit diesem Grundvertrauen können wir unseren Alltag überhaupt bestehen.
Nur wenn wir dieses Vertrauen in Christus haben können, kann Ostern, kann die Auferstehung, für uns überhaupt glaubhaft sein. Denn Auferstehung meint ja nicht: Wir werden nach unserem Tod halt irgendwie wieder zum Teil des Kosmos, zur Erde oder zur Energie und gehen im Großen-Ganzen auf.
Auferstehung heißt: Wir gehen durch den Tod hindurch, nicht an ihm vorbei, sondern durch den Tod hindurch als genau diejenigen, die wir sind. Wir sind und bleiben die konkrete Person, die wir sind: Ich bleibe also der Thomas, der ich bin. Vielleicht nicht mehr ganz so dick; das verfällt, das vergeht und verwest. Aber mein Ich bleibt und ist geborgen bei Gott. Das meinen wir Christen, wenn wir von Auferstehung sprechen. Das meint leibliche Auferstehung.
Deshalb sagt Christus hier: „Seht her, ich bin es selbst und kein Geist.“ Wir vergessen oft, was für eine fundamentale Bedeutung dieses Vertrauen auf Ostern für unser Leben hat, was für eine einschneidende Veränderung Ostern bedeutet. Alles ändert sich durch Ostern. Denn wenn das wahr ist, ändert es wirklich alles. Und zwar nicht erst irgendwann: Es hat sich schon alles geändert.
Wenn Christus wahrhaft auferstanden ist, dann hat schon begonnen, dass alles gut wird, dass wir Hoffnung haben können, schlechthinnige Hoffnung.
Aber haben wir denn Hoffnung?
Wenn wir tief in uns hineinhorchen und uns fragen: Welche Hoffnung habe ich? Habe ich Hoffnung? Was ist meine Hoffnung? Dann zeigt sich sicher bei den allermeisten:
Wir alle haben kleine und große Hoffnungen. Niemand ist völlig ohne Hoffnung. Nur sie lässt uns den Alltag bestehen: Die Hoffnung auf Gesundheit, auf Heilung, auf ein glückliches Leben, den Erfolg der Kinder. Manche haben auch die Hoffnung auf ein neues Auto oder einen neuen Beruf, auf die Lösung eines Problems. Und viele haben die Hoffnung, dass letztlich alles gut wird. Wir Menschen haben Hoffnung. Immer!
Wer gar keine Hoffnung hat, ist verzweifelt. Auch das gibt, natürlich. Aber wir Christen können eigentlich gar nicht verzweifelt und komplett hoffnungslos sein: Denn mit Ostern hat es schon begonnen, dass alles gut wird.
Ostern bedeutet für jeden Menschen – ganz konkret – eine Wandlung in seiner Existenz Wenn nämlich wahr ist, was wir da an Ostern feiern, verändert sich z.B. bei jedem einzelnen Menschen seine Begrenztheit durch die Zeit. Denn wir Menschen sind ja zutiefst stigmatisiert durch die Endlichkeit der Zeit, die wir haben. Und je näher der Mensch dem Finalpunkt kommt, desto panischer wird er oft. Wenn ich aber davon ausgehen kann, dass der Tod nicht die „Nichtung“ ist, also nicht das radikale Nicht-Sein das Ziel meines Lebens ist, sondern dass ich von Gott so sehr geliebt und gemeint bin, dass ich selbst über den Tod hinausgehoben werde von der schöpferischen Kraft Gottes, dann verändert sich vollständig meine Einstellung zu meiner Existenz. Dann sehe ich das Vergehen der Zeit nicht als einen Verlust, sondern als Annäherung auf das wesentliche Ereignis meines Lebens hin, als Weg auf ein Ziel hin.
Unser Leben endet nicht im Nichts, niemandes Leben endet im Nichts. Wenn wir Ostern glauben, haben wir die Hoffnung schlechthin, die größte Hoffnung von allen. Dann wissen wir: Gott lässt uns nicht im Stich. Er ist bei uns und bleibt bei uns.
Das heißt nicht, dass wir keine Ängste haben. Natürlich haben wie die. Jeder Mensch hat Ängste. Aber wir können wissen: Es hat schon begonnen, alles gut zu werden. Wir brauchen nicht zu verzweifeln. Wenn wir Ostern glauben, haben wir Hoffnung. Gott lässt uns nicht im Stich. Und wer Hoffnung hat, kann anders leben. Ich muss dann nicht mehr in der Angst um mich selbst leben.
Papst Benedikt XVI. hat immer wieder darauf hingewiesen: Hoffnung ist eigentlich nichts anderes als Glauben. Der Glaube, dass mit Christus schon alles begonnen hat, gut zu werden. Dass er wirklich lebt. Diese Hoffnung schenkt er uns.
Die Apostelgeschichte sagt: Er ist der Anführer des neuen Lebens (Apg 3,15). Er führt uns zu diesem neuen Leben, zur Fülle des Lebens.
Im Griechischen der Antike gab es zwei Wörter für Leben: biós und zoé. Biós meint das Leben, das vergeht, das im Tod endet, das verfällt. Wenn aber hier von „Leben“ die Rede ist, dann immer von zoé: Das vollendete, das erlöste Leben, die Fülle des Lebens, das Leben bei Gott. Zu diesem erlösten Leben führt uns allein Christus.
Ostern ist gleich Erlösung, aber nicht irgendeine Erlösung. Auf Hoffnung hin sind wir erlöst (Röm 8,24). Damit wir die Hoffnung haben.
Der Philosoph Friedrich Nietzsche, der sich selbst als Atheist verstanden hat, hat einmal gesagt: Ich kann nicht Christ sein. Denn, wenn wahr wäre, woran die Christen glauben, dann müssten sie doch erlöster aussehen. (Vgl.: Also sprach Zarathustra, Leipzig 1941, S. 98)
Und wie oft sehen wir Christen so gar nicht erlöst aus? Man müsste uns doch die Hoffnung ansehen, die wir haben – wenigstens ein bisschen!
Ich bin fest überzeugt: Gott wirkt in unserem Leben durch so viele Kleinigkeiten, durch so viele andere Menschen. Er schenkt uns diese Hoffnung, auf die hin er uns durch Christus erlöst hat. Wir müssen es nur wahrnehmen. Wir müssen nur aufmerksam sein.
Ich glaube fest daran: Christus will sich uns zeigen – nicht nur den Jüngern – auch uns, in dem, was uns begegnet in diesem Leben, vielleicht im Allerkleinsten und Unscheinbarsten. Vielleicht in dem, was uns ein anderer Mensch über ihn sagt. Vielleicht nicht so wie hier den Jüngern im Johannesevangelium. Vielleicht anders. Aber nicht weniger glaubwürdig. Vielleicht durch Zeichen der Liebe in unserem Leben.
Er hat uns die Hoffnung schon geschenkt, und er will sie uns unser ganzes Leben hindurch schenken, immer wieder, um uns aus der Macht der Angst um uns selbst zu befreien zur Fülle des Lebens.
(Predigt in den Wort-Gottes-Feiern zum 3. Sonntag der Osterzeit, 13.4.2024, in Maria Gnaden, Berlin-Hermsdorf, und St. Hildegard, Berlin-Frohnau)
Bild: Christusmosaik über dem Apostelgrab in St. Peter im Vatikan, Foto: privat.
Vgl. zum Ganzen: Dominicus Trojahn: Heilige Tage. Karwoche und Ostertriduum. Auf: https://youtu.be/ic2a_USzCT0?si=aVmYcm5K4La-unoh