Hören und Reden

Evangelium

In der Evangeliumsstelle dieses Sonntags bringt man einen Gehörlosen zu Jesus, den er heilt. Jetzt könnte man sagen: Ah, wieder so ein Heilungswunder; wenn man nur fest genug glaubt, dann geht die Krankheit schon weg, denn so etwas kann Jesus ja und tut es auch einige Male. So kann man mit dem Evangelium schnell fertig sein und auch mit Jesus: da er selbst Gott ist, kann er so was nun mal. Fertig.

Aber ist das alles, was uns diese Lesungen sagen wollen? Wäre das dann schon das Wort Gottes? Jesus gewissermaßen als HNO-Arzt?

Natürlich geht es hier um’s Hören. Er macht, „dass die Tauben hören und die Stummen sprechen“, heißt es hier.

Das Hören ist für uns Menschen einer der wichtigsten Sinne. Unser Hören ermöglicht soziale Teilhabe, sagt die Wissenschaft. Kein anderes Lebewesen kann so viele verschiedene akustische Ereignisse, Geräusche, Klänge, Worte, Musikstücke unterscheiden, im Gedächtnis behalten und selbst erzeugen wie der Mensch. Zwar können z.B. Fledermäuse sehr viel leisere Geräusche hören und vor allem auch ihre Ultraschall- Echo-Ortung „hören“, und auch Hunde sind im Richtungshören und im Wahrnehmen von sehr hohen Tönen uns Menschen natürlich weit überlegen, aber nur wir Menschen haben die Fähigkeit, Zigtausende von akustischen Ereignissen auch zu speichern. Hören ist für uns also nicht nur ein akustisches Phänomen, sondern betrifft uns als ganze Menschen. Menschen, die schlecht oder gar nicht hören, empfinden oft die soziale Isolation, die Einsamkeit, die dadurch entsteht, als die stärkste Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität. (Vgl. https://www.friedrich-verlag.de/friedrich-plus/grundschule/sachunterricht/natur/wir-menschen-sind-hoertiere-9602)

Es gibt sogar Menschen, die erblindet sind und vorher bereits schwerhörig waren und die durch Hörhilfen wieder besser hören können. Sie sagen, die Blindheit sei nicht so schlimm wie es die Taubheit war. Hören zu können ist für uns Menschen einer der wichtigsten Sinne. Und eben diesen Tauben macht Jesus hörend. Und dann erst gibt er ihm die Fähigkeit, verständlich zu sprechen. Hören ist slso auch wichtiger als reden.

Aber wenn wir diese Erzählung ernst nehmen, so wie wir den biblischen Text immer nehmen sollten, nicht allein wörtlich, sondern vor allem ernst, dann müssen wir uns doch fragen:

Was sagt Jesus UNS mit diesen Worten? Gerade im Zusammenhang mit den beiden anderen Lesungen dieses Sonntags, des Propheten Jesaja, der das Lied vom Kommen Gottes singt, und des Jakobus-Briefs, der den Armen und Notleidenden (und wir können ergänzen denjenigen mit Beeinträchtigungen), das Reich Gottes verheißt. Das zeigt uns doch, dass es hier um mehr geht als nur um‘s organische, akustische Hören.

Dann erkennen wir doch: Jesus wendet sich diesem Menschen mit seinen Beeinträchtigungen, diesem Menschen in Not, voll und ganz zu. Er ist ganz für IHN da. Deshalb nimmt er ihn auch beiseite und von der Menge weg. Er ist in dem Moment nur für ihn da, und kümmert sich voll und ganz um ihn. Weit über die HNO-Frage hinaus!

Um den ganzen Menschen! Und er befreit ihn „aus seinen Fesseln“; aus dem, was ihn ausschließt von einem Leben in Würde und Liebe. Gott hat uns Menschen geschaffen, damit wir leben:  die Fülle des Lebens haben, und die besteht nicht „in goldenen Ringen und prächtiger Kleidung“, wie es in der zweiten Lesung dieses Sonntags heißt, sondern darin, dass wir geliebt sind, dass wir gewollt sind. Dass wir Kinder Gottes sind. Diese Gotteskindschaft ist unsere höchste Würde.

Aber das erkennen wir nur im Hören; im Hören auf sein Wort. Auf Jesus, der uns dieses Wort sagt, und der dieses Wort selbst ist, fleisch-geworden ist. Und das erkennen wir nur im Hören. Der Glaube kommt vom Hören, heißt es im Römer-Brief (Röm 10,17).

Deshalb zuerst das Hören und dann das Reden. Bei uns ist es ja oft umgekehrt. Noch bevor wir gehört haben, legen wir los, drauflos zu reden.

Hier erfahren wir: Jesus macht ALLES gut. ALLES! Und das zu erkennen, versetzt uns „über jedes Maß hinaus“ in Staunen: Er macht ALLES gut. Er ist unser Heil, unser Retter, und befreit uns aus der Angst um uns selbst, aus den Fesseln der Würdelosigkeit.

Wir alle haben doch solche Wunden oder Beeinträchtigungen wie der Gehörlose hier, sei es nun die Schwerhörigkeit, oder Verletzungen, körperliche oder seelische; Wunden, die wir mitschleppen und die uns lähmen und wir oft gar nicht gerne öffentlich zeigen. Oftmals sind diese Wunden verborgen, werden verheimlicht, vor uns selbst und vor anderen. Kein Wunder, dass wir da stumm bleiben müssen. Und wir so oft unsere Sehnsucht nach Hilfe verbergen und sie nur an Jesu Ohr dringt.

Jesus hat als auferstandener Gekreuzigter seinen Freunden seine eigenen Wunden gezeigt, und dem Thomas hat er sogar gesagt, er solle sie berühren. Er hat uns seine Wunden geöffnet, und daran haben wir ihn erkannt.

So sagt er auch uns wie dem Gehörlosen hier: „Effata” – „Öffne dich!” Verbirg dich nicht! Hab den Mut, dich zu öffnen: dem anderen, der angebotenen Hilfe, dem Schmerz, der Sehnsucht. Und vor allem demjenigen, der auch Dir das Leben in Fülle verheißt: Gott.

Dann werden auch wir hören und nicht mehr stumm sein.

 

(Predigt in der Wort-Gottes-Feier zum 23. Sonntag im Jahreskreis B, 7.9.2024, in St. Hildegard, Berlin-Frohnau)

Bild: privat

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