„Was denkst du eigentlich, wer ich bin?“ Wenn das jemand zu uns sagt, geht’s ans Eingemachte. Diese Frage betrifft ja nicht nur unser Inneres, unseren Kern. Es geht bei dieser Frage ja zunächst vor allem um unsere Reputation, unser Erscheinungsbild, eben was andere über uns denken und sagen.
Früher gab es im deutschen Fernsehen die Sendung „Was bin ich?“, ein ‚heiteres Berufe Raten‘. Da war dann auch immer ein/e Prominente/r, den das Rateteam mit Augenklappen erraten sollte; also eigentlich nicht „Was bin ich“, sondern „Wer bin ich“?
Wer bin ich also? Wer? In den Augen der anderen und in meinen eigenen. Welche Person? Wer bin ich für euch? Das fragt auch Jesus nicht nur die Jünger, sondern auch uns. Wer also ist dieser Jesus für mich?
Ein Prophet? Einer, der vor 2000 Jahren gelebt und gelitten hat? Ein guter Mensch? Petrus antwortet im Evangelium dieses Sonntags: „Du bist der Christus.“ Also der, auf den die Juden seit Jahrtausenden gewartet haben, der Gesalbte, der König, der kommen soll, um alle zu befreien.
Ist Jesus das auch für mich? Oder ist er nur eine historische Figur; interessant; vorbildlich vielleicht. Aber eben doch einer von vor-vorgestern, mit dem wir im 21. Jahrhundert nur wenig zu tun haben.
Dietrich Bonhoeffer schrieb am 16.7.1944 im Gefängnis in Tegel:
Wer bin ich? Sie sagen mir oft, ich träte aus meiner Zelle gelassen und heiter und fest, wie ein Gutsherr aus seinem Schloss. …
Wer bin ich? Sie sagen mir auch, ich trüge die Tage des Unglücks gleichmütig lächelnd und stolz, wie einer, der Siegen gewohnt ist.
Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen? Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß? Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig, ringend nach Lebensatem, als würgte mir einer die Kehle, hungernd nach Farben, nach Blumen, nach Vogelstimmen, dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe, zitternd vor Zorn über Willkür und kleinlichste Kränkung, … ohnmächtig bangend um Freunde in endloser Ferne, müde und leer zum Beten, zum Denken, zum Schaffen, matt und bereit, von allem Abschied zu nehmen?
Wer bin ich? Der oder jener? … Bin ich beides zugleich? Vor Menschen ein Heuchler und vor mir selbst ein verächtlich wehleidiger Schwächling? …
Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott.
Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!
(Vgl.: Dietrich Bonhoeffer: Widerstand und Ergebung. Aufzeichnungen aus der Haft. Gütersloh (Gütersloher Verlagshaus), 2010, S. 188.)
Ist Jesus dieser Gott, der mich kennt; der befreit, der mich aus der Macht der Angst um mich selbst befreit? Auch mich? Weil er auch mich kennt mit meinem kleinen Schicksal; dem bisschen Leben; dem bisschen Reputation, an die ich mich so klammere?
Wer auch immer Jesus für uns ist, er ist einer, der auf der Seite der Schwachen steht, den Freund der Traurigen und der Einsamen, der Verletzten und der Sterbenden; also im Grunde von uns allen. Ich halte ihn für die unbegrenzte Liebe; denjenigen, der für mich da ist; ganz für mich da, wie armselig ich mich auch fühlen mag.
Er ist derjenige, der mir sagt: „Für mich bist du unendlich wertvoll. Du musst nicht mehr in der Angst um Dich selbst leben.” Und der mich vielleicht – hoffentlich – einmal so fühlen lässt wie Bonhoeffer.
Damit aber stellt Jesus alles auf den Kopf, was sonst so in dieser Welt gilt. Nicht allein die Stärke zählt, die Muskeln, die Schönheit, der Reichtum oder der überlegene Verstand. Nicht, ob ich etwas gelte; geadelt bin; geehrt; ob ich gewinne oder verliere; ob ich gehört werde und schön anzusehen bin. Nein! Er sagt mir: „Du bist geliebt; von Gott geliebt; egal wer du bist und wie du dich gerade fühlst. Ich bin für Dich da und befreie dich. Und das Einzige, was ich will, ist, dass du genauso lieben kannst, und die anderen ebenso befreist aus der Angst, auf sie zugehen kannst und ihnen ebenso sagen kannst: Du bist geliebt. Du bist ein geliebtes Kind Gottes. Auch wenn es in dieser Welt vielleicht nicht danach aussieht und du es nur schwer glauben kannst. Du bist geliebt. Und Dein Leben endet nicht im Nichts. Es geht auf ein Ziel zu.“ Und dieses Ziel heißt, so glauben wir, Jesus.
Dann kann ich auch hinter ihm hergehen, wie er im Evangelium sagt. Denn das Einzige, was er von mir will, ist doch, dass ich nicht mehr allein aus der Angst um mich selbst lebe, sondern im Dasein für andere. Das ist Nachfolge. Wenn es sein muss, bis zum Kreuz.
Dieser Eine ist Jesus für mich.
(Predigt zum 24. Sonntag im Jahreskreis B, 15.9.2024, in Maria Gnaden, Berlin-Hermsdorf)
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