Die Hoffnung in die Welt getragen hat

Evangelium

Die schwangere Maria bei Elisabeth. Eine Erzählung, die gut zur Adventszeit passt. Beide Frauen sind schwanger, beider Söhne werden die Welt verändern. Der eine: Johannes; der größte unter den Propheten; der Vorläufer, der auf den zweiten verweisen wird: Seht! Er ist es: das Lamm Gottes; Gottes menschgewordenes Wort: Jesus Christus, der Herr. Die Verbindung von Johannes und dem Herrn wird hier vorweggenommen in der Beziehung von Maria zu ihrer Verwandten Elisabeth. Das alles ist bekannt und oft gehört.

Interessant aber ist hier auch, was nicht erzählt wird: Maria macht sich auf ins Bergland von Judäa. Aber wohin genau, wird nicht gesagt. Auch wie sie da hinkommt, wird nicht erzählt. Schon gar nicht, mit wem. Allein, als schwangere junge Frau, noch dazu unverheiratet, wird sie ja wohl nicht gereist sein. Ob sie gelaufen ist? Unwahrscheinlich; einen Esel nahm?

Das alles erfahren wir nicht. All das wird hier nicht gesagt, weil es einfach für diejenigen, die das hier niederschrieben, nicht wichtig war. Das, was uns heute so interessieren würde, die technischen Bedingungen, die Story, die Details, das ist einfach nicht wichtig. Zumindest nicht so wichtig, dass es wert war, aufgeschrieben zu werden. Hier steht nur, was für den Glauben der Menschen, die das Evangelium hörten, wichtig ist. Hier steht nur: Maria machte sich auf den Weg und eilte ins Haus des Zacharias zu Elisabeth. Dieses „machte sich auf den Weg“ klingt so banal und harmlos. Das griechische Wort, das hier im Original steht, heißt anástasa: sie stand auf; sie brach auf. Das ist das gleiche Wort wie in Anástatis: Auf-erstehung. Sie stand auf. Der Aufbruch Marias zu Elisabeth ist „Auferstehung“, und zwar ganz wörtlich: Auf-erstehung. Denn was gerade mit Maria geschieht, ist ja der Anfang der Menschwerdung Jesu; der Anfang des Heils; der entscheidende Wendepunkt der Weltgeschichte; der Rettung von uns Menschen durch Jesus, durch seine Menschwerdung, sein Leben und Sterben und seine Auferstehung. Das fängt hier an. Und das muss man mit-hören und wissen, wenn man hört: Maria machte sich auf.

Ich finde sowieso: Wir sehen Weihnachten und Ostern viel zu sehr getrennt, als eigenständige Feste. So als haben die nichts miteinander zu tun. Weihnachten ist aber der Beginn der Auferstehung; der Beginn des Heils, der Erlösung. Das fängt hier an, nicht erst auf Golgotha. Und der Kreuzweg Jesu beginnt ja auch nicht erst in Jerusalem 30 Jahre später, sondern in der Menschwerdung im Stall von Bethlehem. All das haben die Menschen, die das Evangelium zuerst hörten, zusammengedacht.

Wir sagen immer gerne: Im Advent bereiten wir uns auf die Ankunft des Herrn vor, und das stimmt auch. Aber nicht nur er ist es, der ankommt. Wenn wir es recht bedenken, machen wir uns auf dem Weg zu ihm. Wir machen uns auf den Weg, so wie Maria sich auf den Weg macht; so wie die Hirten und die Weisen sich auf den Weg machten. Und warum? Warum macht sich Maria auf den Weg? Warum steht sie auf? Elisabeth sagt es hier im letzten Satz: „Selig ist die, die geglaubt hat, dass sich erfüllt, was ihr vom Herrn gesagt wurde.“ Maria macht sich auf den Weg, weil sie glaubt, weil sie vertraut, weil sie Hoffnung hat. Dass sich es sich erfüllt. Sie vertraut vollkommen. Sie ist völlige Hoffnung. Nicht mit Vorbehalten. Das kann so sein, aber vielleicht auch nicht. Das klappt oder vielleicht auch nicht. Das wäre keine Hoffnung. Das wäre vielleicht ein Stück weit Optimismus, aber keine Hoffnung. So wie Václav Havel es gesagt hat: Hoffnung heißt ja nicht, das etwas gut ausgeht, sondern dass, egal, wie es ausgeht, etwas Sinn hat. Maria vertraut auf den Sinn dessen, was ihr von Gott gesagt wird. Dass das alles Sinn macht, auch wenn sie ihn vielleicht noch gar nicht versteht. Sie baut ihr Leben ganz auf diese Zusage Gottes.

Im Advent singen wir das Lied: „Die Nacht ist vorgedrungen“. Jochen Klepper schrieb den Text, den Johannes Paetzold dann vertont hat, im Advent 1937. Jochen Klepper war Journalist und Schriftsteller, und er war mit einer Jüdin verheiratet. Die hatte aus erster Ehe zwei Töchter, und gemeinsam versuchten sie unter der Naziherrschaft in Berlin über die Runden zu kommen. Eine Tochter konnten sie nach England zu Freunden schicken, als die Situation für Juden immer schlimmer wurde. Kleppers Frau Johanna ließ sich auch taufen. Aber spätestens 1942 war klar, dass für sie und ihre Tochter die Deportation ins Konzentrationslager kurz bevorstand.

In der Nacht vom 10. auf den 11. Dezember 1942 hing Jochen Klepper einen Zettel an seine Wohnungstür, um die Nachbarn zu warnen: „Vorsicht Gas!“, und er schrieb in sein Tagebuch: „Nachmittags die Verhandlung auf dem Sicherheitsdienst. Wir sterben nun – ach, auch das steht bei Gott – Wir gehen heute Nacht gemeinsam in den Tod. Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus, der um uns ringt. In dessen Anblick endet unser Leben.“ (vgl. Jochen Klepper: Unter dem Schatten deiner Flügel. Aus den Tagebüchern 1932-1942. München, 1976, S. 1133).

Im Angesicht der bevorstehenden Deportation nahmen Jochen Klepper, seine Frau und ihre Tochter Schlaftabletten und drehten den Gashahn auf. Jochen Klepper wusste: Nichts, aber auch gar nichts kann uns von der Liebe Gottes scheiden. Gott richtet nicht; straft nicht, sondern liebt. Nichts Anderes: Gott liebt – jede und jeden, ausnahmslos. Auch wenn wir das manchmal selbst gar nicht glauben mögen. In diesem Vertrauen starb die Familie Klepper. So düster die Nacht in Deutschland auch war, für sie galt: Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern. Das Dunkel all derer, die nachts weinen, soll nicht dunkel bleiben, über der „Angst und Pein“ soll es hell aufstrahlen. Wir sind nicht gefangen in der Dunkelheit, in Schuld und Verlorenheit. Und zwar dann nicht, wenn unsere Gedanken nicht mehr nur um uns selbst kreisen. Wenn wir uns befreien lassen aus der Macht der Angst um uns selbst. Jochen Kleppers Leben endete mit dem Blick auf den segnenden Christus. Wer so wie Jochen Klepper Jesus vertraut, auf ihn sein Leben und auch sein Sterben baut, erfährt, daran glaube ich, die ganze Fülle des Lebens.  „Wer wie ein Kind vertraut und sich wie ein Kind beschenken lässt … [und] sich von Jesu Liebe entzünden lässt.“ (vgl. Martin Stark: „Wer ist groß?“ in: Licht in allen Dingen finden. Adventskalender mit ignatianischen Impulsen hrsg. v. Ulrike Gentner und Tobias Zimmermann. Würzburg: Echter-Verlag, 2024, 19.12.). Wer sich aufmacht wie Maria und die Hoffnung in die Welt trägt.

(Predigt in der Wort-Gottes-Feier zum 4. Adventssonntag, 21.12.2024, in St. Hildegard, Berlin-Frohnau)

Bild: privat

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