„Heute hat sich das Wort erfüllt, das ihr eben gehört habt.“ Das ist ein starker Satz, den Jesus da über sich sagt. In ihm hat sich das Wort erfüllt. Er ist die Erfüllung all der Hoffnungen und Erwartungen, auf die die Juden (mindestens seit Jesaja) gewartet haben: Der Messias, der Christus.
Nicht nur ein netter Mensch, ein guter Mensch; ethisch; ein Prophet, der Kluges über Gott zu sagen weiß. Er ist es selbst. Er ist dieses Wort an uns. Wie muss das auf seine Hörer gewirkt haben? Und wie wirkt es heute?
Wir feiern heute den Sonntag des Wortes Gottes, und in Deutschland feiern wir diesen Sonntag schon lange immer als Ökumenischen Bibelsonntag, damit wir uns immer wieder bewusst machen, was wir hier eigentlich lesen. Nicht nur Storys von vor 2000 Jahren. Keine mehr oder weniger interessanten Berichte, die wir gut oder schlecht finden können, ablehnen oder feiern. Das können wir alles machen.
Aber der Anspruch ist Wort Gottes zu sein – Wieso? Jedenfalls nicht so, als ob diese Texte vom Himmel gefallen sind, oder wort-wörtlich vom Engel auf der Schulter den Evangelisten eingehaucht, wie es Rembrandt auf seinem Gemälde „Der Evangelist Matthäus und der Engel“ so schön dargestellt hat. So sicher nicht!
Was macht dieses Wort zu Gottes Wort, und Jesus selbst zu Gottes Wort?
Denn wir könnten sagen, dieses Buch ist doch nur ein Buch – von Menschen gemacht, von Menschen geschrieben, und ich lese halt vor. Natürlich ist es das. Das, was hier steht, ist Menschenwort. Gotteswort kann uns nur im Menschenwort gesagt werden. Aber die Verehrung, die Herausheben im Gottesdienst, gilt ja nicht dem Papier; ist ja kein Zauber, keine Magie. In der Sprachtheorie würde man sagen: Dieses Wort ist performativ. Es hat Wirkung. Wenn wir dieses Wort lesen, ist es nicht nur eine Erinnerung. Christus ist für uns nicht nur eine historische Figur, an die wir jetzt freundlicherweise nochmal denken, sondern er ist hier der unmittelbar Sprechende. Dieses HEUTE gilt auch für uns, so glauben wir. Dieses Wort ist deshalb lebendig, weil es maßgebend ist. Weil es für uns Bedeutung hat, weil wir glauben: Gott hat auch uns etwas zu sagen. Gottes Wort kann uns nur im menschlichen Wort gesagt werden. In dem, was Mitmenschen uns sagen und was Menschen vor uns geglaubt haben.
Denn für die ersten Gemeinden sind diese Texte aufgeschrieben. Sie sind Glaubenszeugnisse. Übrigens in einer Zeit, in der es in den Gemeinden keineswegs sicher war, wie es weitergeht. Die ebenso wie wir heute auf der Suche waren nach einer Zukunft; die ebenso krisengeschüttelt waren. Immer wieder sagt uns das Evangelium aber: Er ist die Erfüllung unserer Hoffnung. ER zeigt uns: Gott ist nicht fern, im Jenseits, irgendwo im Numinosen, unerreichbar und unfassbar. In diesem Menschen Jesus ist er sichtbar geworden, be-greifbar, ein Gott zum Anfassen, was meinem Namensgeber so wichtig war. Er sagt uns in dem, was hier steht, das maßgebende Wort, das uns Hoffnung bringt und Leben. Und das soll heute für die Mehrheit der Menschen so eine Bedeutung haben? Heute in dieser Krise der Kirche? Heute, wo es nicht Festes und Sicheres mehr zu geben scheint, wo die Rede der Krise allgegenwärtig ist. Alles in Frage gestellt ist?
Allein in unserer Pfarrei sind im letzten Jahr über 270 Menschen ausgetreten und 172 sind verstorben, während genau zehn Erwachsene eingetreten ist und es 45 Taufen gab. Das macht eine verheerende Netto-Bilanz. Vorgestern wurde ein „ökumenischer Kirchenatlas“ vorgestellt. Da können Sie gemeindescharf die Bilanzen genau nachlesen. Wie soll man da nicht pessimistisch und hoffnungslos werden?
Machen wir uns nichts vor: Natürlich sind wir für Viele nicht attraktiv. Unsere Sprache ist nicht attraktiv, unsere Selbstbezogenheit ist alles andere als attraktiv. Und unsere Liturgie ist es oft gar nicht. Auf dem Markt der Möglichkeiten kann Kirche (hier bei uns) heute nur schwer bestehen. Also einfach einpacken? Oder sich damit abfinden: „We few, we happy few!“ Werden wir halt zur kleinen Sekte? Oder einfach alles anders machen? Aber wenn wir in unseren Gemeinden dann fragen, was anders werden soll, geht’s uns doch wie in der Geschichte von Lothar Zenetti:
„Frage 100 Katholiken: „Was ist das Wichtigste in der Kirche?“, und sie werden Dir antworten: „Das ist die Heilige Messe!“. Frage 100 Katholiken: „Was ist das Wichtigste in der Messe?“, und sie werden Dir antworten: „Die Wandlung!“. Sage 100 Katholiken, dass das Wichtigste in der Kirche also die Wandlung ist, werden sie Dir antworten: „Nein! Dass alles so bleibt, wie es ist!“. (Vgl. Lothar Zenetti: Auf Seiner Spur. Texte gläubiger Zuversicht. Matthias Grünewald Verlag. Verlagsgruppe Patmos in der Schwabenverlag AG, Ostfildern 2011.)
So sind wir Menschen: Für mich/für uns sollte alles so bleiben, wie es ist, oder noch besser, wie es früher war. Denn früher war ja sowieso alles besser.
In unserer Pfarrei stehen wir vor dringend nötigen Veränderungen, und Veränderungen/Wandlung wird es geben und hat es immer gegeben. Es liegt an uns, wie wir sie gestalten. An uns allen, liegt es, ob wir lebendige Gemeinden sind, eine lebendige Pfarrei. Wir haben es in der Hand, ob dieses Wort für uns lebendig ist. Ob er uns heute etwas Maßgebendes zu sagen hat, ob es für uns von Bedeutung ist, wenn er sagt:
„Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe.“ (Lk 4,18 f.)
Ob man uns daran erkennt, im Alltag, im ganz Kleinen, als diejenigen, die diesem Wort folgen. Denn „ihr seid der Leib Christi und jeder Einzelne ist ein Glied an ihm“ (1 Kor 12,27).
(Predigt in den Wort-Gottes-Feiern zum 3. Sonntag im Jahreskreis C, 25.1.2025, in Maria Gnaden, Berlin-Hermsdorf, und St. Hildegard, Berlin-Frohnau)
(Bild: Christusmosaik über dem Apostelgrab in St. Peter im Vatikan. Foto: privat)