Als ich jung war, Anfang der 70er Jahre, wurde meine Vorstellung von Dämonen, von bösen Geistern und dem Teufel vor allem durch Hollywood-Filme wie „Der Exorzist“ oder „Das Omen“ geprägt. Ich weiß nicht, ob Sie die noch kennen. Da werden Menschen, die von Dämonen besessen sind, durch die Luft gewirbelt, die Geister sprechen aus den Menschen, schrecklich entstellt. Hollywood eben! Anfang der 70er konnten wir uns selbstverständlich diese Mächte des Bösen auch anders vorstellen, aber im Film wirkt das eben besonders gruselig.
Zur Zeit Jesu hatten die Menschen keine andere Möglichkeit, als sich das Böse, das Unheilvolle, Unterdrückende und Bedrohliche durch solche leibhaftigen Dämonen vorzustellen. Man erklärte sich fast jedes Übel mit dem Einfluss von bösen Mächten, von Dämonen. Dass Menschen krank werden, dass Kinder sterben, ja unser aller Tod sah man letztlich als Wirkung böser Mächte an. Man konnte sich diese Übel kaum anders denken, als dass sie das Zerstörungswerk von übelwollenden Geistern sind. Man dachte sich die Welt voll von Dämonen, die vom Teufel angeführt werden, und den stellte man sich ganz gestalthaft vor, mit Sprache und Bewusstsein, so wie hier im Evangelium, wo der Dämon, der unreine Geist, weiß, wer Jesus ist, und Jesus selbstverständlich Macht auch über ihn hat. (1)
Wir hören heute im Evangelium, wie Jesus zum ersten Mal im Tempel lehrt und die Schrift auslegt, und das Entscheidende daran ist: Die Menschen sehen, Jesus lehrt mit einer Kraft, einer Autorität, einer Vollmacht, die Menschen heil werden lässt und sie befreit vom Bösen, von den „Dämonen“. Er legt die Schrift also in einer Weise aus, dass sie konkrete Wirkung entfaltet, Wirkung für das Leben der Menschen; dass sie befreiend und aufrichtend wirkt; eben dass sie heilt. Das Wort Gottes heilt und hilft zu leben. Ganz konkret! Auch wir können uns immer wieder fragen: Wo hilft mir Gottes Wort? Wie richtet es mein Leben auf und befreit mich aus der Macht der Angst, des Bösen, der Verzweiflung und führt mich zum Vertrauen, eben zum Leben.
In Deutschland feiert die Kirche an diesem Sonntag den „Sonntag des Wortes Gottes“. Papst Franziskus hat ihn 2019 für die ganze Kirche eingeführt, um eigens die Bedeutung des „Wortes Gottes“, das uns in der Hl. Schrift entgegentritt, zu unterstreichen. In jedem Gottesdienst hören wir Gottes Wort, und ich werde nicht müde zu sagen: Dieses Wort ist Christus selbst. Er ist es, der sich uns zuspricht. Es gibt keine Liturgie, es gibt keinen Glauben ohne Gottes Wort.
Doch allein schon mit dem Ausdruck „Wort Gottes“ tun sich heute viele schwer. In diesem Buch, in der Bibel, soll wirklich Gottes Wort drinstehen? Die Bibel ist sein Wort schlechthin? Ja, aber nicht so, wie vielleicht manche denken mögen, dass Gott diesen Text wortwörtlich, Buchstabe für Buchstabe, diktiert hat. Die Bibel ist ja nicht einfach vom Himmel gefallen. Sie ist „Gotteswort im Menschenwort“, wie es das II. Vatikanischen Konzil (DV 11) so schön formuliert hat.
Über viele Jahrhunderte hinweg haben Menschen ihre Glaubenserfahrungen und Glaubensüberzeugungen niedergeschrieben, und das, was sie da aufgeschrieben haben und was später in die Bibel zusammengefasst wurde, das sind nicht nur Reportagen, Nachrichten, historische Berichte. Es sind Glaubenserfahrungen, also Erfahrungen, die sie mit ihrem Glauben an Jesus Christus gemacht haben. Sie drücken darin aus, wie sie dem Evangelium vertrauen, Jesus als dem Wort Gottes vertrauen. Und sie spüren: Durch ihn, durch dieses Wort, werden wir befreit aus der Macht der Angst um uns selbst. Du musst nicht allein in der Angst um dich selbst leben. Du bist von Anfang bis Ende (und darüber hinaus) ganz von Gottes Liebe getragen. Wenn wir ihn, das Wort Gottes, ernst nehmen und seinen Weg mitgehen, dann ist für uns wirklich das Reich Gottes schon hier nahe, das Leben in Fülle, das er uns verspricht.
Noch ein Wort zum Schluss:
Heute jährt sich zum 79. Mal der Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau. Es zeigte, was wir anderen Menschen antun können und angetan haben, denen wir ihr Menschsein abgesprochen haben, die wir für „unwert“ erklärt haben. Jesus hat uns seine Kraft der Liebe gezeigt, seine Reinigung von allem Bösen, seine Kraft, Menschen zu heilen, indem er ihre Würde wiederhergestellt hat und sie aus der Macht der Angst befreit hat.
Heute haben Juden wieder Angst unter uns zu leben; haben auch in Israel und auf der ganzen Welt Angst, ausgelöscht zu werden. Wir Christen haben hier nur eine Aufgabe: an der Seite unserer älteren Geschwister (im Glauben) zu stehen, ihnen beizustehen, für sie einzutreten. Wir alle sind Menschen, sind Gottes Kinder, Geschwister. Das darf sich nicht nur in Worten zeigen, sondern in der Kraft dessen, was wir tun, indem wir dem Juden Jesus, unserem Herrn, nachfolgen.
(1) vgl. Grom, Bernhard: Glaube, der uns leben hilft. Predigten zu den Sonn- und Feiertagen des Lesejahres B. Mainz, Grünewald-Verlag, 2005, S. 116.
(Predigt in der Wort-Gottes-Feier zum 4. Sonntag im Jahreskreis B, 27.1.2024, in St. Hildegard, Berlin-Frohnau)
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