Der Weg der Liebe

1 Kor 12,31-13,13

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In der katholischen Kirche in Deutschland feiern wir an diesem Sonntag den „Sonntag des Wortes Gottes“. Den hat Papst Franziskus vor zwei Jahren für die ganze Kirche eingeführt, damit wir das Wort Gottes nicht nur hören, weil’s im Gottesdienst nunmal dazu gehört, sondern damit uns dieses Wort, wie der Papst sagt, „zur barmher­zigen Liebe des Vaters ruft”.

Dazu drei Anmerkungen aus meiner Sicht: 1. Was ist das „Wort“ Gottes? 2. Was hat das mit Niklas Weinges (1) zu tun, der heute im Himmel seinen 87. Geburtstag “feiert”? 3. Welche ganz praktischen Konsequenzen hat das für uns – als Einzelne wie als Kirche?

Erstens: Auf den Punkt gebracht ist das Wort Gottes nicht etwas, sondern jemand. Natürlich denken wir, wenn wir „Wort Gottes“ hören, zuallererst an die Texte der Bibel. Aber dieses Wort, genau das sagt uns ja die Bibel, dieses Wort ist: Jesus, den wir den Christus nennen; er ist „das Wort“ schlechthin (Joh 1,1-18). Denn in ihm hat Gott endgültig alles gesagt. Alles, was wir von Gott wissen können, wissen wir durch ihn. Er ist für uns die Selbstmitteilung Gottes in Person.

Und die Bibel, dieses Buch aus 73 Büchern? Das sind für uns Christen 73 Möglichkeiten, wie wir dieses „Wort“, das Christus ist, verstehen können; zum Teil ganz unmittelbar durch seine eigenen Worte, zum Teil aber mittelbar durch die Glaubensüberzeugungen von vielen Generationen. Und auch nach der Bibel – die ganze Geschichte hindurch – können wir, wenn wir wollen, immer wieder seinen Geist in Worten spüren, die uns auf dem Weg durch die Zeit begegnen.

Das aber macht es so notwendig, dass wir immer wieder diese Worte für uns deuten müssen; versuchen müssen, ihn selbst in diesen vielen menschlichen Worten zu hören. Deshalb können wir die Bibel auch nicht einfach lesen, wie wir einen Roman lesen oder einen Zeitungsbericht oder ein Gesetzbuch.

Immer wieder stehen wir in der Versuchung, genau das zu tun: Da stehen Buchstaben, die scheinen uns eindeutig, also nehmen wir sie genau als das, was da steht. Ein kluger Mann sagte einmal: Es gibt nur zwei Weisen, mit der Bibel umzugehen: Entweder man nimmt sie wörtlich, oder man nimmt sie ernst. Beides zusammen geht nicht (Pinchas Lapide). Und so geht es uns mit allem, von dem wir meinen, Gottes Wort sei darin zu finden – quer durch die gesamte Geschichte – von päpstlichen Lehrschriften bis zu Predigten von Diakonen – immer müssen wir selbst versuchen zu verstehen, was uns Jesus dadurch sagt oder eben nicht sagt.

Einer, der dies sein ganzes Leben hindurch versucht hat, ist Niklas Weinges, unser früherer Pfarrer, dessen 87. Geburtstag wir heute feiern.

Ich kenne wenige Menschen, die – so wie er – den Sinn der Worte Jesu, des Wortes Gottes, zu verstehen geben konnten. Unermüdlich hat er versucht, seine Sicht auf den Weg Jesu zu zeigen, und uns ermutigt, diesen Weg als Weg der Liebe mitzugehen.

Das führt unmittelbar zur heutigen Lesung aus dem Korintherbrief (s.o.). Wie oft schon haben wir diesen Text gehört; sehr gerne bei Hochzeiten. Er ist ein Stück Weltliteratur, sagt man: Das Hohelied der Liebe. Und das ist ja auch schön; und wir mögen es immer wieder hören. Es sagt uns auf unübertroffene Weise, was Liebe ist. Aber wenn man genau hinhört, geht es da gar nicht so sehr um eine Definition von Liebe, und es geht auch gar nicht in erster Linie um die Liebe zwischen Zweien.

Der Text steht mitten in den Ausführungen des Paulus, wie eine christliche Gemeinde sein soll, und ganz am Anfang dieses Textes steht: Ich zeige euch jetzt einen „überragenden Weg“, und zwar wie Gott Kirche will (ekklesía, vgl. 1 Kor 12,28).

Wer Niklas Weinges auch nur ein wenig kannte, merkte schnell, dass er mit seinem Dienstgeber in einem durchaus spannungsreichen Verhältnis stand. Unser Erzbischof hat es in seinem Nachruf so schön positiv gewendet und gesagt, Pfarrer Weinges sei „seiner Zeit voraus“ gewesen in der Art, wie er z.B. Verantwortung delegierte und Ehrenamtliche motivierte (s.u.). Ja, seiner Zeit voraus war er bestimmt, und er ist es auch jetzt! Aber was er zu sagen hatte und dem er stets treu blieb, das ist doch genau das, worum es hier im ersten Korintherbrief geht: Der Weg der Gemeinde als Weg der Liebe.

Ich weiß, das ist ein hoher Anspruch. Aber es zeigt sich ja gerade im Moment immer mehr, dass es der einzige Zukunftsweg ist. Denn die Kirche ist kein Selbstzweck. Sie hat nur dann eine Daseinsberechtigung, wenn sie ein Weg der Liebe ist, ein Weg zur Liebe, die Gott ist. Denn auch wenn ich im kirchlichen Leben, in der Liturgie, in der Verkündigung alles ganz perfekt machen und kontrollieren würde und bis ins kleinste Detail optimiert hätte, und gleichzeitig lieblos, herzlos, verletzend wäre zu denen, die mir begegnen und die mir anvertraut sind, wäre alles völlig sinnlos. Ich kann auch persönlich noch so bescheiden und uneitel sein, wie unser Papst zum Beispiel; ich kann mich tot-ackern; es nützt alles nichts, wenn die Liebe fehlt, und wenn ich dies in einer Kirche tue, die hart und verletzend ist. Ich zähle jetzt nicht die Beispiele der letzten Wochen auf; es gäbe mehr als genug.

Es gibt nur einen Weg in die Zukunft: den Weg der Liebe, den Weg Jesu, des Wortes Gottes. Das mag man für naiv halten. Aber es ist der Weg – für jede und jeden Einzelnen wie für uns als Kirche –, den uns Christus vorangegangen ist, der Weg des Evangeliums.

Denn ist es nicht so, dass wir mit all unserer Perfektion, mit unseren vielen kirchlichen Gesetzen und unserem Streben nach Macht in eine Sackgasse geraten sind? Die Kirche hat sich – gerade hier bei uns im Westen – seit dem 4. Jahrhundert und der konstantinischen Wende von der „Märtyrer- zur Machtkirche“ entwickelt (2). Immer stärker hat sie sich als rechtliche Instanz verstanden, als Gesetzgeber, als Behörde. Das hat über Jahrhunderte viele Vorteile gebracht.

Viele haben heute den Eindruck, dass dieses Zeitalter an sein Ende gekommen ist und dass die Ursachen für Vertuschung, Verleugnung, Unterdrückung, Gewalt vor allem in diesem Machtstreben zu suchen sind.

Die Antwort darauf können nicht allein kosmetische Korrekturen sein. Jede und jeder muss sich fragen: Bin ich Machtmensch oder „Bote der Liebe“? Und als Kirche müssen wir uns doch fragen: Gehen wir weiter den Weg der Macht oder den Jesusweg? Niklas Weinges könnte ein Vorbild dafür sein.

(Predigt zum 4. Sonntag im Jahreskreis, “Wort-Gottes-Sonntag”, am 30.1.2022 in Maria Gnaden, Berlin-Hermsdorf und im Franz-Jordan-Stift, Berlin-Waidmannslust)

 

Anm.:
(1): Nikolaus Weinges war von 1981 bis 2005 Pfarrer der katholischen Pfarrei Maria Gnaden in Berlin-Hermsdorf. Er starb am 2.10.2021 im Alter von 86 Jahren in Berlin. Der Nachruf von Erzbischof Dr. Heiner Koch findet sich unter: https://www.st-franziskus-berlin.de/fileadmin/_subsites/_St._Franziskus/Verzeichnis_Pfarreiwebsite/Bilder/News/2021_Quartal_4/Nachruf_Weinges_EB_Koch.pdf
(2): vgl. Christoph Markschies: “Wann endet das Konstantinische Zeitalter? Eine Jenaer Antrittsvorlesung”, In: https://edoc.hu-berlin.de/bitstream/handle/18452/23430/Markschies1997-Wann_endet_das_Konstantinische_Zeitalter.pdf?sequence=3 ,S. 159.

Bild: privat

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