Das Mahl mit den Sündern

 

Evangelium

Nun haben wir also Pfingsten, den Dreifaltigkeitssonntag und auch Fronleichnam schon wieder hinter uns und sind wieder im „normalen“ Kirchenjahr angekommen, also gewissermaßen im Alltag, in der Ebene, des Kirchenjahres nach so vielen hohen Gipfel und Festen. Denn das Schöne unseres liturgischen Jahres ist ja, dass es so durchstrukturiert ist, so reich an Festzeiten, auf wir uns dann auch noch intensiv vorbereiten können, so durchkomponiert.

Wir Menschen brauchen diese Komposition, diesen Wechsel an Höhen und Tiefen im liturgischen Jahr, weil sie uns immer tiefer hineinführen in Jesu Leben, in sein Wort, in Gottes Wort. Hier bei uns im Bistum haben Sie allerdings morgen früh nochmal die Möglichkeit, so richtig ausgiebig ein Fest zu feiern und eines der schönsten überhaupt, Fronleichnam, nachzuholen. Da feiern wir Christus, der bei uns ist in seinem Leib und Blut und den wir verehren im allerheiligsten Sakrament, der uns seine Gegenwart zugesagt hat, den wir ansehen, anfassen, ja in uns aufnehmen können,
der nicht irgendwo fern im Nirvana ist,
sondern hier bei uns, tagtäglich, immer, und der uns dadurch, dass er immer bei uns ist, die Fülle des Lebens schenkt.

Aber dass das morgen am Sonntag nachgeholt wird, 
ist ja eine Spezialität einzelner Bistümer. Die allermeisten, und so auch wir jetzt, feiern jetzt
seit langem den ersten Sonntag, der wieder ganz „normal“ ist,
den 10. Sonntag im Jahreskreis, ich sagte es zu Beginn schon. Und da sind wir mitten hineingeworfen in Jesu Botschaft vom Leben in Fülle. Wir haben es gerade gehört: Die Berufung des Zöllners Matthäus und das Mahl mit den Sündern.

In der Nähe von Rom, in San Pastore, gibt es ein Haus, eine Art Sommerhaus des deutschen päpstlichen Kollegs, und dort im Speisesaal befindet sich an einer Wand ein riesiges Gemälde des Malers Sieger Köder.

Sieger Köder war Priester und Maler. Man hat ihn einen „Prediger mit Bildern“ genannt, und dort in San Pastore hat er an die Wand des Speisesaals das Mahl mit den Sündern gemalt.

Darauf sieht man einen Tisch mit Menschen beim Mahl, und man sieht sie aus den Augen Jesu, aus seiner Perspektive. Von Jesus selbst sieht man nur die Hände, die offenen Hände, die das Brot reichen, die zum Mahl einladen. Und am Tisch sitzen ein Jude, ein Bettler, eine Prostituierte, 
ein Clown, ein Zweifler und andere „vermeintliche“ Sünder. Heute würde Sieger Köder wahrscheinlich noch einen queeren Menschen dazu malen.

Das Bild lässt uns spüren: Jesus sieht sie an, so wie im heutigen Evangelium. Das erste ist: Er sieht die Sünder an, heute den Matthäus, einen Zöllner, also einen, der in der damaligen jüdischen Gesellschaft ganz unten war – im Ansehen. Einer, der gemeinsame Sache machte mit den Besatzern; einer, der die Leute auspresste, ein Sünder. Und mit so einem setzt sich Jesus an einen Tisch und sagt: „Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken.“ Die Ausgegrenzten, die Leidenden, die Opfer oder die, die wir für Sünder halten. Und wer bitte schön wäre das dann nicht? Wir alle sind es doch, die den „Arzt“ Jesus brauchen. Jesus sieht uns an. Jesus sieht uns an.

Das Bild hängt in einem Speisesaal, in dem angehende Priester und Theologen ihr Essen bekommen; eben diejenigen, die Rom am deutschen Kolleg studieren. Angehende Seelsorger also sehen so täglich beim Essen dieses Mahl mit den Sündern, wo Jesus sagt: „Lernt, was es heißt: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer!” Ein gutes Zeichen in unserer Priesterausbildung, finde ich.

Jesus lehrt uns, was Barmherzigkeit ist. In seinem Geist können wir es selbst sein: barmherzig. Er lehrt es uns an diesem ganz normalen Sonntag, im Alltag, immer dann, wenn wir sein Wort hören, wenn wir spüren, dass er uns ansieht, uns meint. Barmherzigkeit, ein offenes Herz für die anderen, das will er. Für die anderen da zu sein – zumal für die vermeintlichen Sünder; einfach nur da zu sein und ihr Leben zu teilen – in Barmherzigkeit und Liebe, und uns damit aus der Macht der Angst um uns selbst zu befreien. Allein dann schon haben wir selbst 
die Fülle des Lebens, die der Herr uns versprochen hat.

(Predigt in der Wort-Gottes-Feier zum 10. Sonntag im Jahreskreis A, 10. Juni 2023, in St. Hildegard, Berlin-Frohnau)

Bild: privat

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