„Fürchtet euch nicht!“ Dreimal sagt Jesus hier zu seinen Aposteln und damit zu uns: „Fürchtet euch nicht!“ Wie die letzten Sonntage schon geht es hier um die Aussendung der Apostel. Jesus schickt sie in die Welt hinaus, und er ermutigt sie: Habt keine Angst vor den Leuten! Das, was ich euch bisher im Verborgenen beigebracht habe, das sagt mutig in die Welt hinaus. Auch wenn sie euch steinigen, vielleicht sogar kreuzigen: Steht zu ihrem Glauben! Zu Eurer Überzeugung!
Hier bei uns wird man heute zumindest nicht mehr gesteinigt, wenn jemand zum christlichen Glauben steht. Auf dem Markplatz in Kabul sieht das schon anders aus. Aber Mut gehört auch hier oft schon dazu, vom eigenen Glauben zu sprechen. So einfach tun wir uns da nicht, wenn wir ehrlich sind.
Wir leben in einer Zeit, in der es nicht selbstverständlich ist zu glauben, in der man sich eher rechtfertigen muss, wenn man glaubt. Früher war es genau umgekehrt: Da musste sich rechtfertigen, wer nicht glaubte; nicht zur Kirche gehörte. Dieser soziale Druck ist – zumindest hier bei uns – heute weggefallen. Inzwischen ist hier in Deutschland die Mehrheit konfessions-los. Da tut man oft schwer, vom eigenen Glauben zu sprechen. Da erntet man oft Schulterzucken, Desinteresse, manchmal Spott und wird zumindest für vorgestrig gehalten, jedenfalls nicht auf der Höhe der Zeit, wenn man heute immer noch an diesen Jesus glaubt. Und natürlich verunsichert das.
Aber auch außerhalb der Kirche, in unserem Alltag, in der Öffentlichkeit: Wir leben in unsicheren Zeiten, in der viele Angst u. Sorgen haben: Angst vor dem Klimawandel, vor einem Krieg, Angst vor Zuwanderung, Angst vor den Populisten, vor einer ungewissen Zukunft.
Das, was man gerade „Zeitenwende“ nennt, ist ja nichts anderes: als der Verlust einer Sicherheit, in der wir uns lange bequem eingerichtet haben in unserem bürgerlichen Wohlbehagen. Da fürchten sich viele.
Und in unserem eigenen, privaten Leben? Angst vor Krankheit, dem Altwerden, der schwindenden Zeit. Angst um unseren Besitz; vor sozialem Abstieg; Sorgen um unsere Familien und Beziehungen. Wenn wir ehrlich sind, besteht unser Leben zu einem sehr großen Teil aus Sorgen und Ängsten.
Und hier in der Kirche? Hier ist es doch nicht anders. Auch hier leben wir gerade in einem fundamentalen Wandel, in Unsicherheit und Angst, wie es weitergehen soll. Wie viele wünschen sich die alten Zeiten zurück, wo doch alles in Ordnung und viel besser war, wo wir noch einen Pfarrer hatten – pro Gemeinde, wo Kirchen noch voll waren und eine gesellschaftliche Rolle spielten, wo es selbstverständlich war, dazu zu gehören, wo jeder jeden kannte, wo es viele gab, die mitmachten.
Das alles bricht weg, und natürlich macht das unsicher. Heute ist das Selbstverständliche weg. Es ist keineswegs selbstverständlich, dass sich jemand für den Glauben entscheidet. Und das gesellschaftliche Ansehen der Kirchen ist ja auch ganz unten. Schon gar seit der Aufdeckung der unsäglichen Missbrauchsfälle und der jahrzehntelangen systematischen Vertuschung. Da wundert es doch nicht, dass immer mehr austreten. Und man könnte jetzt Stunden damit zubringen, warum das so ist. Und man kann jammern. Oder man kann sich zurückziehen ins Sektierertum:
We happy few. Wir wenigen Rechtgläubigen. Wir haben halt recht. Die Welt da draußen wird schon sehen, was sie davon hat.
Aber wir alle wissen: Man kann ein gutes, ein anständiges Leben führen, ohne je etwas von Jesus und seinem Wort gehört zu haben. Und viele Menschen werden glücklich, ohne je eine Kirche von innen zu sehen. Glaube ist für die allermeisten heute nur eine Option, ein Angebot.
Es gehört eine Entscheidung dazu, und vielleicht sogar ein bisschen Mut, zu sagen: Ja, ich glaube an diesen Jesus; an seine Botschaft; an dem Gott, den er seinen und unseren Vater nennt.
Wir alle sehnen uns nach einem guten Leben, nach einem gelingenden, schönen, nach einem sinnvollen Leben. Alle Menschen tun das. Nichts anderes taten auch die Apostel, zu denen Jesus hier spricht und die er in diese Welt schickt, den Menschen von ihm und dem Gott der Liebe zu erzählen. Und diese Apostel, die dürften mindestens so unsicher gewesen sein wie wir heute. Vielleicht sogar noch mehr. Und Jesus sagt nicht: Keine Sorge! Ihr werdet super erfolgreich und angesehen sein. Ihr werdet reich und berühmt und bekommt Follower ohne Ende. Das sagt er nicht. Er sagt: Fürchtet euch nicht! Und das sagt er allen Menschen: Fürchtet euch nicht! Denn ihr seid nicht allein. Ich bin bei euch. Hier und jetzt. Immer. Überall.
Kein Mensch geht verloren. Niemandes Leben endet im Nichts. Jedes Haar auf Eurem Haupt ist gezählt. Gott kennt jede und jeden – beim Namen. Und er weiß um unsere Angst, um unsere Sehnsucht, unsere Hoffnung. Und er befreit uns aus der Macht der Angst um uns selbst. Er befreit uns zum Leben; zu einem Leben in Fülle. Niemand geht verloren. Weder die Spatzen noch ihr. Niemand! Das heißt nicht: Alles ist easy. Sondern es heißt:
Ihr könnt Euer Leben im Vertrauen leben, dass ihr gehalten sein, dass ihr schon gerettet seid, dass ihr erlöst seid! Lebt Euer Leben in gelebter Liebe. Gelebte Liebe! Mehr nicht. Dazu sollen wir den Mut haben. „Fürchtet euch nicht!“
(Predigt zum 12. Sonntag im Jahreskreis A, 24./25. Juni 2023, in St. Hildegard, Berlin-Frohnau, und Maria Gnaden, Berlin-Hermsdorf)
Bild: privat